Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Digitalisierung in Kommunen: Wo bleibt der erhoffte Durchbruch?

Kommunen im Spannungsfeld zwischen lokaler Autonomie und föderaler Einbettung

Städte und Gemeinden übernehmen in der föderalen Verwaltung zahlreiche öffentliche Aufgaben. Um diese Aufgaben zielgerichtet erfüllen zu können, verfügen sie über große Freiheiten bei der Aufgabenerfüllung. Im Hinblick auf die Digitalisierung dieser Dienstleistungen ergibt sich daraus jedoch ein Dilemma. Einerseits müssen und können sie aufgrund ihrer kommunalen Selbstverwaltung große Teile des Fortschritts der Digitalisierung vor Ort selbst steuern. Häufig geschieht dies jedoch mit begrenzten Ressourcen parallel zum Tagesgeschehen. Anderseits müssen sie von übergeordneten Ebenen verabschiedete Vorgaben und Gesetze zur Digitalisierung erfüllen. Dabei sind die Kommunen darauf angewiesen, dass ihnen von den übergeordneten Ebenen über die Gesetze und Vorgaben hinaus bestimmte Standards, technische Voraussetzungen und verschiedene Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Dies gestalten Österreich, Deutschland und die Schweiz jedoch sehr unterschiedlich.

Betrachtet man die Steuerungsansätze der drei kontinentalföderalen Staaten, lassen diese sich auf einem Kontinuum von ‚Gesetzgebung für Digitalisierung‘ bis ‚freiwillige Selbstverpflichtung‘ einordnen. Deutschland setzt in der Tradition seiner stark institutionalisierten Entscheidungsstrukturen und Koordinationssysteme vor allem auf die Gesetzgebung (am prominentesten ist hier das bislang nachfolgelose Onlinezugangsgesetz zu nennen), in der eine Auswahl von zu digitalisierenden Leistungen für die Kommunen bereits detailliert festgelegt sind. In Österreich ist zwar auch ein E-Government-Gesetz in Kraft, aber dieses regelt eher die rechtlichen Grundlagen für die beteiligten Ebenen. Konkrete gemeinsame Projekte werden in einem gemeinsamen Koordinationsgremium von Bund, Ländern und Gemeinden abgestimmt. In der Schweiz wurde ein solches E-Government-Gesetz von den Kantonen abgelehnt. Stattdessen werden z.B. gemeinsame Standards in der von Bund und Kantonen getragenen Organisation „Digitale Verwaltung Schweiz“ festgelegt, die auf der Basis einer gesamtschweizerischen Strategie für die Digitalisierung arbeitet.

Im Kern konzentrieren sich alle diese Steuerungsansätze jedoch vor allem auf die externe Dimension der Verwaltungsdigitalisierung, d.h. auf die Digitalisierung der Dienstleistungen gegenüber Bürger*innen sowie Unternehmen. Dafür werden die notwendigen technischen Voraussetzungen, wie z.B. ein gemeinsames elektronisches Identitätsmanagement geschaffen. Hier wird bereits deutlich, dass auch die übergeordneten Verwaltungsebenen in ihrer Steuerung der Digitalisierung insbesondere darauf abzielen, dem Erwartungsdruck der Stakeholder gerecht zu werden. Wie allerdings die Kommune diese (teil-)digitalen Dienstleistungen erbringt, in ihre bestehenden Prozesse integriert und sich selbst zu einer digitalen Organisation entwickelt, bleibt im Rahmen der kommunalen Organisationshoheit ihr selbst überlassen.

Drang nach Verantwortlichkeit und digitale Grundlagenarbeit

Trotz der unterschiedlichen Steuerungsansätze der Länder reagieren die untersuchten Kommunen strukturell sehr ähnlich auf diese Herausforderungen, ihre Organisation und Prozesse zu digitalisieren. In einem ersten Schritt schaffen sie Verantwortlichkeiten (häufig in Form eines sog. Chief Digital Officers (CDO). Diese*r ist folglich dafür zuständig die Digitalisierungsvorhaben der Kommune zu planen, durchzuführen und zu koordinieren. Häufig wird zuerst versucht die internen Geschäftsprozesse mit Hilfe digitaler Akten zu digitalisieren, um dadurch die Ziele der übergeordneten Ebenen für eine Dienstleistungsdigitalisierung überhaupt umzusetzen zu können. Zunächst muss häufig digitale Grundlagenarbeit geleistet werden. Die Digitalisierung wird dabei schrittweise und regelkonform in den Verwaltungsablauf und die bestehenden Prozesse integriert.

Die flächendeckende Umsetzung über die verschiedenen Ämter und Leistungsbereiche innerhalb der Kommune wird jedoch durch deren dezentrale Binnenorganisation erschwert. Während z.B. die Einführung eines Dokumentenmanagementsystems federführend durch den CDO gesteuert werden kann, liegen die Ressourcen und Verantwortlichkeiten für die fachlichen Verwaltungsleistungen (wie z.B. ein Bauantrag) in der Regel in den Fachämtern mit ihren eigenen gesetzlichen Anforderungen und eingespielten Prozessen. Steht die Amtsleitung der Digitalisierung kritisch gegenüber oder fehlt die Kommunikation mit den zentralen Akteuren, kann es auch innerhalb der Kommune zu unterschiedlichen Entwicklungsständen und technologischer Fragmentierung kommen.

 

Darüber hinaus beschäftigen sich die Kommunen mit neuen Trends der Verwaltungsdigitalisierung, wie z.B. der Robotic Process Automation, von der man sich große Effizienzsteigerungen erhofft. Diese zu programmieren und flächendeckend einzusetzen ist jedoch äußert anspruchsvoll und ressourcenintensiv. Insbesondere für kleinere Kommunen stellen solche Innovationen eine große Herausforderung in der Umsetzung dar, die häufig nicht zu realisieren sind.  

Inkrementelle Entwicklung statt Disruption

Ob und wann die Digitalisierung in den Kommunen den erhofften Durchbruch in der angestrebten Breite der Dienstleistungslandschaft schafft, ist daher sehr fraglich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Digitalisierung aufgrund ihrer Komplexität weiterhin schrittweise in den Verwaltungsalltag integriert wird. Digitale Prozesse werden sich jedoch im Laufe der Zeit normalisieren.  Einzelne Dienstleistungen werden zunehmend vollständig digitalisiert angeboten, während andere noch papierbasiert abgewickelt werden. Gleichzeitig ist der nächste große Trend bereits in vollem Gange. Damit künstliche Intelligenz aber die erhoffte Wirkung entfalten kann, braucht es Daten aus verknüpften, qualitätsgesicherten digitalen Registern und aus digitalen Prozessen in den Verwaltungen. Die Basisarbeit der Digitalisierung in den Kommunen wird also konsequent weiter vorangetrieben werden müssen.

Anmerkung:

Die diesem Blogbeitrag zugrunde liegende Publikation entstand im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds und der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekts „Digitale Transformation der Kommunalverwaltung in Europa: Dynamiken und Effekte im Länder- und Zeitvergleich (DIGILOG)“ (Projektnummer 460343012).

 

Über die Autor*innen:

Justine Marienfeldt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politikwissenschaft, öffentliche Verwaltung und Organisation an der Universität Potsdam. Sie forscht zu Verwaltungsdigitalisierung auf kommunaler Ebene im europäischen Vergleich, insbesondere aus der Perspektive von Beschäftigten sowie Verwaltungshandeln.

Jakob Kühler ist wissenschaftlicher Mitarbeit am Lehrstuhl für Public und Nonprofit Management an der Universität Potsdam. Seine Forschung widmet sich insbesondere internen Dynamiken der Verwaltungsdigitalisierung.

Sabine Kuhlmann ist Professorin für Politikwissenschaft, öffentliche Verwaltung und Organisation an der Universität Potsdam und stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrats der Bundesregierung. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die vergleichende öffentliche Verwaltung, Reformen des öffentlichen Sektors, bessere Rechtsetzung und Kommunalverwaltung.

Isabella Proeller ist Professorin für Public und Nonprofit Management an der Universität Potsdam. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Reform des öffentlichen Managements, strategisches Management und wirkungsorientierte Steuerung in der öffentlichen Verwaltung.