Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) – Eine populistische Partei?

Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat sich Anfang des Jahres eine neue Partei in Deutschland gegründet. Ich bin der Frage nachgegangen, inwiefern Wagenknecht und die BSW-Abgeordneten innerhalb der Linksfraktion bezüglich ihrer populistischen Kommunikation herausgestochen sind und welche Rolle populistisches Framing im ersten BSW Parteiprogramm spielt. Die Ergebnisse zeigen, dass Wagenknecht als Abgeordnete am häufigsten populistische Kommunikation einsetzte. Gleichzeitig nimmt populistische Rhetorik im Parteiprogramm eine zentrale Rolle ein.

Wagenknechts Abspaltungsprozess von der Linken vollzog sich über Jahre. Hauptgrund waren gesellschaftspolitische Themen. So warf Wagenknecht ihrer damaligen Partei vor, Klimapolitik auf Kosten Geringverdienender zu betreiben und zu migrationsfreundlich zu sein. Seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine setzte sie sich immer wieder lautstark für eine „Verhandlungslösung“ ein, auch mit dem Ziel, möglichst bald Sanktionen gegen Russland aufzuheben, um wieder günstig Gas zu importieren. In wirtschafts- und soziapolitischen Fragen war die Distanz zwischen der Linken und Wagenknecht hingegen nie sonderlich groß.

BSW als links-konservative Alternative im Parteiensystem

Um diesen aus ihrer Sicht falschlaufenden Tendenzen entgegenzuwirken, profilierte Wagenknecht das BSW als links-konservative Partei. Links-konservative Parteien, in der englischsprachigen Literatur häufig links-autoritär genannt, stehen wirtschafts- und soziapolitisch für Regulierung und Umverteilung, gesellschaftspolitisch aber für konservative Positionen. Bezogen auf Deutschland könnte man sich beispielsweise eine Kombination aus soziapolitischen Positionen der Linkspartei und gesellschaftspolitischen Positionen der CDU vorstellen. Bislang gab es jedoch keine Partei, die diese Positionen kombiniert hat.

Die programmatische Ausrichtung des BSW als links-konservative Partei ist medial bereits stark debattiert worden. Letztlich finden sich auch im knappen ersten Parteiprogramm des BSW Hinweise dafür, wenngleich konkrete inhaltliche Forderungen hier nur wenig Beachtung finden.

Populismus als wissenschaftliche Definition

In den letzten Jahren wurde die Einordnung von Sahra Wagenknecht als „Populistin“ immer wieder aufgegriffen. Ihre Person polarisiert stark, sie gehört seit vielen Jahren zu den beliebtesten Politiker:innen des Landes, stößt aber auch auf starke Ablehnung. In meinem neuesten Beitrag in der Politischen Vierteljahreschrift bin ich den Fragen nachgegangen, ob Wagenknecht selbst tatsächlich als „Populistin“ zu bezeichnen ist und welche Rolle Populismus im ersten Parteiprogramm des BSW spielt. Dazu habe ich quantitative und qualitative Ansätze der Populismusforschung kombiniert.

Zunächst ist dabei festzuhalten, dass Populismus im politikwissenschaftlichen Sinne eine relativ klare Definition besitzt, die mit dem umgangssprachlichen Gebrauch (z.B. im Sinne von Demagogie) nur bedingt etwas gemein hat. Gemäß dem sogenannten ideellen Ansatz (engl. Ideational Approach), der durch Cas Mudde, Kirk Hawkins und Margaret Canovan maßgeblich geprägt wurde, ist Populismus ein spezifisches Weltbild, ein „Ideenset“. Zwei Hauptkonzepte stehen dabei im Vordergrund:

  1. Bevölkerungsbezug: Populismus steht auf der Seite „der Bevölkerung“, die rhetorisch maximal breit konstruiert wird (z.B. Volk, „die kleinen Leute“) und
  2. Elitenkritik: starke, verallgemeinernde Kritik an „der Elite“ oder „dem Establishment“, vorzugsweise aus Politik, Wirtschaft oder Medien (z.B. „die etablierten Parteien“, „die Top-Manager“).

Zwischen beiden Gruppen besteht ein antagonistisches Verhältnis, weswegen manche von einem „manichäistischen Weltbild“ sprechen.

Kommunikation, die durch diese Elemente gekennzeichnet ist, kann als populistische Kommunikation bezeichnet werden. Nutzt eine Partei diese Rhetorik regelmäßig, kann diese Partei als populistische Partei klassifiziert werden.

Sind Wagenknecht und BSW „populistisch“?

Inwiefern treffen diese Merkmale nun auf Sahra Wagenknecht und das BSW zu? In einem ersten Schritt habe ich dazu alle Pressemitteilungen und Reden der Linksfraktion aufbereitet, die während der „Lebensdauer“ der Fraktion (2005-2023) veröffentlicht wurden. Es handelt sich also um eine Vollerhebung. Die Reden und Pressemitteilungen sind dabei immer konkreten Abgeordneten zuordnungsbar. Zunächst hat mich dabei die Frage interessiert, inwiefern Wagenknecht während ihrer Zeit als Bundestagsabgeordnete populistische Kommunikation im Vergleich zu den anderen Abgeordneten der Linksfraktion eingesetzt hat und ob die weiteren BSW-Abgeordneten ebenso hervorstechen. Zur Analyse wurde ein von Johann Gründl entwickeltes Populismus-Wörterbuch angewendet, welches aus 238 Wörtern und Wortkombinationen besteht.

Reden und Pressemitteilung der Linksfraktion (2005-2023): Wagenknecht ist die populistische Politikerin

Die Ergebnisse zeigen, dass Wagenknecht mit Abstand am meisten populistische Rhetorik unter den Abgeordneten der Linksfraktion eingesetzt hatte. Das wird noch deutlicher, wenn man die Analyse auf die laufende Legislaturperiode beschränkt. Die Ergebnisse für die Reden der Abgeordneten, die aktuell im Bundestag sitzen, sind in Abbildung 1 zusammengefasst. Wagenknecht selbst führt diese Liste wie erwähnt an, aber einige der zum BSW übergetretenen Abgeordneten (rot markiert) stechen hier ebenfalls hervor, beispielsweise Andrej Hunko, Zaklin Nastic und Sevim Dagdelen. Allerdings gibt es auch einige Politiker:innen, die nicht zum BSW übergetreten sind, aber trotzdem häufig populistische Kommunikation einsetzen (z.B. Petra Pau), und BSW-Abgeordnete, die eher selten Populismus in ihren Reden nutzen, wie Klaus Ernst. Letztgenannter nutzt Populismus aber häufig in seinen Pressemitteilungen.

 

 

Abbildung 1. Durchschnittliche Anzahl an populistischen Begriffen pro 1.000 Worten in Reden der Abgeordneten, die in der laufenden Legislaturperiode einen Sitz haben.

 

Bezüglich der Pressemitteilungen erlaubt die Analyse zu überprüfen, welchen Effekt die Autorenschaft von Sahra Wagenknecht hat. In Abbildung 2 ist gut zu erkennen, dass Pressemitteilungen, die Abgeordnete ohne sie verfasst haben, die wenigsten populistischen Kommunikationselemente aufweisen. Ihre Mitautorenschaft erhöht den Populismusgrad, doch der höchste Anteil populistischer Rhetorik ist in Pressemitteilungen zu finden, die von ihr allein verfasst worden sind.

Abbildung 2. Durchschnittliche Anzahl an populistischen Begriffen pro 1.000 Wörtern in Pressemitteilungen in Abhängigkeit von Wagenknecht-Autorenschaft.

 

Populismus als tragende Säule des BSW-Parteiprogramms

Da Populismus also für Wagenknecht und teilweise auch weitere BSW-Abgeordnete eine wichtige Rolle innerhalb der Linksfraktion spielte, wäre die Erwartung, dass populistische Kommunikation auch im BSW-Parteiprogramm eine prominente Position einnimmt. Im letzten Teil der Analyse habe ich mich daher mit der qualitativen Auswertung der populistischen Rhetorik im BSW-Parteiprogramm befasst. Die Ergebnisse zeigen, dass populistisches Framing tatsächlich häufig eingesetzt wird.

Der Bevölkerungsbezug wird im Parteiprogramm regelmäßig durch Begriffe wie „Bürger“ (im Gegensatz zum Programm der Linken wird hier nicht gegendert), „Mehrheit“ oder auch „die Fleißigen“ hergestellt. Letztere sind eine bewusst vage gehaltene Gruppe, die sich damit nicht nur auf Erwerbsarbeit, sondern auch auf Ausbildung oder alltägliche Aufgaben beziehen kann. Auffällig ist auch, dass „Gemeinwohl“ bzw. „gemeinwohlorientierte Politik“ eine prominente Rolle einnimmt. Tatsächlich wird eher selten der sozioökonomische Status dieser Gruppe erwähnt (nur einmal werden „die Geringverdiener“ angesprochen), deutlich häufiger ist beispielsweise von den „Steuerzahlern“ oder „Steuergeld“ die Rede.

Diesen genannten Gruppen wird vor allem die Elite aus Politik und Wirtschaft gegenübergestellt. Viele Menschen fühlten sich beispielsweise „durch keine der vorhandenen Parteien“ mehr repräsentiert und „Politiker“ hätten „die Wünsche einflussreicher Lobbys bedient“. Explizit wird die ökonomische Elite kritisiert, vor allem „die oberen Zehntausend“, „sehr reiche Privatpersonen“ und „Großkonzerne“. Bezüglich der Wirtschaft wird interessanterweise deutlich zwischen deutschen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die eher auf der Seite der Bevölkerung stehen, und multinationalen Konzernen wie Google, Facebook und Amazon, denen gieriges Verhalten vorgeworfen wird, unterschieden.

Die Ergebnisse der Untersuchung unterstützen also die Einordnung von Wagenknecht als „Populistin“, zeigen aber auch, welch große Rolle populistische Kommunikation im eher knappen ersten Parteiprogramm von BSW spielt. Insofern scheint aktuell eine Einordnung des BSW als populistische Partei gerechtfertigt.

Über den Autor:

Jan Philipp Thomeczek ist Post-Doc an der Universität Potsdam. Er forscht zu populistische Kommunikation und Parteien und ist daher besonders an der Entwicklung und Etablierung des BSWs interessiert. Im Januar hat er dazu den BSW-O-Maten entwickelt.