Autor: Jan Berz
Auf ihrem 33. Parteitag hat die CDU Armin Laschet zum neuen Vorsitzenden gewählt. Doch welche Auswirkungen wird der Wettkampf um die innerparteiliche Führungsfrage auf die Wahrnehmung der Partei und auf das Wahlergebnis der CDU bei der kommenden Bundestagswahl am 26. September haben? Während das Profil von Parteivorsitzenden für das Wahlverhalten der Wähler*innen von zunehmender Bedeutung ist, zeigt die neue Studie von Florence So (2020), dass der öffentliche Wettstreit um den Parteivorsitz in Regierungsparteien wie der CDU zu sinkenden Stimmenanteilen bei der nächsten Parlamentswahl führt.
Welche Auswirkungen haben Vorstandswahlen für die Wahrnehmung von Parteien?
Wechsel in der Führungsposition von politischen Parteien stellen diese häufig vor eine Richtungsfrage, deren Entscheidung im Prinzip auch Einfluss auf die Wähler*innen und deren Wahrnehmung der Partei haben kann. Die Wahl eines neuen Vorstands bietet für Parteien deshalb prinzipiell eine Chance, sich der aktuellen politischen Stimmung in der Wählerschaft anzupassen und die Aufmerksamkeit der Wähler*innen auf die Partei zu erhöhen. Empirische Ergebnisse belegen, dass ein Wechsel an der Führungsspitze von Oppositionsparteien für diese die Möglichkeit bietet, sich neu zu positionieren, weil sie Wähler*innen zu einer Neueinschätzung der ideologischen Position von Oppositionsparteien veranlasst. Für Regierungsparteien hat die Wahl eines neuen Parteivorstandes hingegen keine Auswirkung auf deren ideologische Wahrnehmung. Denn im Gegensatz zu Oppositionsparteien bewerten Wähler*innen Parteien in Regierungsverantwortung vor allem anhand ihrer Regierungsarbeit, in welcher sie fortlaufend Informationen über die ideologische Position der Partei bieten. Folglich ist zu erwarten, dass der Wechsel an der CDU Parteispitze zu keiner wesentlichen Neueinschätzung der CDU durch die Wähler*innen führen wird.
Neue empirische Befunde von So (2020) aus mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, zeigen zudem, dass sich nach einem Wettkampf mehrerer Kandidaten*innen um den Vorstandsposten in Regierungsparteien der Stimmenanteil dieser bei der nächsten Parlamentswahl reduziert. Dies lässt sich auf die innerparteiliche Uneinigkeit zurückführen, welche durch den Wettkampf mehrerer Bewerber*innen, mit unterschiedlichen ideologischen Positionen, um die Führungsposition öffentlich sichtbar wird. Während das öffentliche Austragen innerer Differenzen über die ideologische Ausrichtung der Partei für Oppositionsparteien weniger problematisch ist, ist im Vergleich das austragen innerer Differenzen für Parteien in Regierungsverantwortung ein Nachteil. Denn innerparteilicher Streit beschädigt nachweislich die Bewertung der Kompetenz einer Partei durch die Wähler*innen. Weil die Qualität der Regierungsarbeit für die Bewertung von Parteien in Regierungsverantwortung im Vordergrund steht, ist eine Beschädigung der Kompetenz für diese besonders nachteilig. Anders gesagt gefährdet die Fokussierung der CDU auf den Richtungsstreit innerhalb der Partei ihre Wahrnehmung als effektive Regierungspartei.
Wie groß war die inhaltliche Differenz zwischen den Kandidaten?
Doch inwieweit haben die drei Kandidaten um den Parteivorsitz überhaupt inhaltliche Differenzen öffentlich ausgetragen, welche einen negativen Effekt auf den zukünftigen Stimmenanteil der Partei hätten? Zur Beantwortung dieser Frage nutze ich eine quantitative Textanalyse (Wordfish), in der die inhaltlichen Positionen in den Bewerbungen der Kandidaten anhand der Häufigkeit genutzter Wörter differenziert werden. Die Anzahl der durch die Kandidaten genutzten Wörter wird mit einer statistisch erwarteten Nutzung verglichen. Kandidaten, die bestimmte Wörter überproportional häufig gebrauchen, werden unterschiedliche Positionen zugewiesen. Die Position der Kandidaten wird zudem auf einer Skala abgebildet, bei der die zwei Kandidaten mit dem unterschiedlichsten Wortgebrauch, und damit der anzunehmenden stärksten inhaltlichen Differenz, die Extreme bilden. Als Grundlage bedient sich diese Analyse der Bewerbungen der drei Kandidaten in den CDU Kandidatenprofilen und den politischen Programmen auf den persönlichen Internetauftritten von Armin Laschet, Friedrich Merz (inkl. Merzmail) und Norbert Röttgen (inkl. jetzt-voran.de). Zum Vergleich wurde außerdem die Bewerbungsrede von Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) auf dem 31. Bundesparteitag der CDU von 2019 hinzugezogen. Zur besseren Vergleichbarkeit wurden direkte Bezüge zu Covid-19 nicht berücksichtigt. Auf Grund der Vielzahl an Themenbereichen in den Bewerbungen der Kandidaten kann angenommen werden, dass das Ergebnis der Wordfish Analyse die wirtschaftspolitische Dimension 'Links-Rechts' grob widerspiegeln.
Die Ergebnisse der Wordfish Analyse sind in Abbildung 1 auf einer Dimension von 'Mitte' bis 'Rechts' dargestellt. Deutlich ist, dass die Bewerber um den Parteivorsitz einen innerparteilichen Wettbewerb zwischen einem Kurs der Mitte, vertreten durch Armin Laschet, und einer Neuausrichtung nach Rechts, vertreten durch Friedrich Merz, austrugen. Zwischen diesen beiden Positionen befand sich die Agenda von Norbert Röttgen, die ihrem Inhalt nach der Bewerbung von AKK im Wettkampf um den Parteivorsitz in 2018 am stärksten ähnelte. Des Weiteren lässt sich feststellen, dass im Vergleich mit der Position der vorherigen Vorsitzenden AKK, Friedrich Merz die weitestgehende Neuausrichtung der Partei vertrat. Auf Grund der deutlichen inhaltlichen Differenzen zwischen den Vorstandskandidaten ist davon auszugehen, dass auch dieser Wettkampf um den Parteivorsitz einen negativen Effekt auf den Stimmenanteil der CDU haben wird.
Personalisierung und Wahlerfolg, eine Abwägung für Regierungsparteien?
Die Selektion von Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidat*innen gewinnt in politischen Parteien auf Grund deren herausragender Rolle im Wahlkampf zunehmend an Bedeutung. In Anbetracht dieser herausragenden Rolle ist es rational, dass Parteien zur Selektion der besten Kandidat*in kompetitive Vorstandswahlen abhalten. Wie empirische Befunde zeigen, bleibt eine solche Selbstfokussierung für Regierungsparteien jedoch nicht ohne negative Folgen für den Wahlerfolg und stellt diese somit vor einen trade-off. Ein theoretischer Ausweg aus diesem könnte die Vorauswahl ideologisch weitestgehend ähnlicher Vorstandskandidat*innen durch Parteieliten sein, welche anschließend mit einem verstärkten Fokus auf ihre persönlichen Kompetenzen öffentlich gegeneinander um den Vorsitz konkurrieren könnten.
Über den Autor:
Jan Berz ist Juniorprofessor für Politikwissenschaft am Trinity College Dublin und wird in dieser Position vom Deutschen Akademischen Austauschdienst e. V. gefördert.