Autor*innen: Flavia Fossati und Philipp Trein
In Krisenzeiten, beispielsweise während einer Finanzkrise oder einer globalen Pandemie, greifen Regierungen zu Kurzarbeit, um einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen zu vermeiden. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich um Lohnsubventionen für Arbeitnehmer*innen, die der Staat während eines begrenzten Zeitraums an Unternehmen zahlt. Im Gegenzug entlassen Unternehmen keine Mitarbeiter*innen. Kurzarbeitsprogramme sind für Regierungen attraktiv, da sie ein wirksames Gegenmittel für kurzfristige Wirtschaftseinbrüche sind. Doch profitieren die Regierungsparteien von der Einführung von Kurzarbeit an der Wahlurne? Und lohnt sich eine solche Politik insbesondere für linke Parteien, die sich traditionell für die Rechte der Arbeitnehmer*innen einsetzen?
Wir haben eine empirische Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Kurzarbeit und Wahlergebnissen bei der Bundestagswahl 2009 in Deutschland durchgeführt. Vor dieser Wahl hatte die Bundesregierung die Kurzarbeit massiv erhöht, um die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 bis 2009 abzufedern. Die Verbreitung der Kurzarbeit war in den verschiedenen Regionen Deutschlands unterschiedlich. Dadurch können wir untersuchen, ob die verschiedenen Kurzarbeitsquoten Einfluss auf das Ergebnis der Bundestagswahl hatten. Allgemein erwarten wir, dass die Wähler*innen in Regionen mit höherer Kurzarbeitsquote insgesamt zufriedener mit der Regierung sind und sie am Wahltag unterstützen, da mehr Arbeitnehmer*innen von der Regierungsintervention profitieren.
Vor der Wahl 2009 war eine Große Koalition aus Christdemokraten (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD) an der Macht. Die sozialdemokratische SPD war für das Arbeitsministerium zuständig, welches das Kurzarbeitsprogramm verwaltete. Theoretisch erwarten wir, dass die Wähler*innen entweder beide Regierungsparteien für die Kurzarbeitsmaßnahmen belohnen oder dass sie insbesondere die Sozialdemokraten in der Regierung unterstützen, da sie als kompetent und verantwortlich für die Politik zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit angesehen werden.
Abbildung: Kurzarbeit und Wahlerfolge für die Regierungsparteien 2009
Unsere Ergebnisse zeigen ein gemischtes Bild. Betrachtet man den Zusammenhang zwischen den Kurzarbeitsquoten und den Wahlergebnissen auf regionaler Ebene, scheinen beide Regierungsparteien, vor allem aber die Sozialdemokraten, von einem höheren Anteil der Kurzarbeit am Wahltag zu profitieren. Das Bild wandelt sich jedoch, wenn man auf der individuellen Ebene untersucht, ob Wähler*innen, die zufriedener mit der Regierungspolitik sind, eher für die Regierung stimmen: Hier ist der Effekt von Kurzarbeit nicht mehr nachweisbar.
Wir interpretieren diesen Befund wie folgt. Linke Parteien, insbesondere die Sozialdemokraten, können von der Einführung der Kurzarbeit während des Wahlkampfes profitieren. Wähler*innen scheinen diese Parteien für ihre politischen Anstrengungen in Wahlkreisen mit hoher Kurzarbeitsquote zu belohnen. Dennoch reichten diese Belohnungen für gemäßigte linke Parteien nicht aus, um hohe Verluste bei den nationalen Wahlen 2009 zu vermeiden. Eine effektive Anti-Krisen-Arbeitsmarktpolitik vor dem Hintergrund einer globalen Wirtschaftskrise war nicht ausreichend, um Stimmengewinne für die Sozialdemokraten zu generieren.
Welche Schlussfolgerungen lassen unsere Ergebnisse für die politischen Parteien, insbesondere die linken Parteien, zu? Einerseits passen unsere Ergebnisse zu der Literatur: Sozialdemokraten sind mit sinkenden Wähler*innenanteilen in ihren traditionellen Milieus konfrontiert, die wiederum wahrscheinlich am meisten von der Kurzarbeit profitiert haben. Dieser Interpretation zufolge haben gesellschaftspolitische Themen wie Migration, Freizügigkeit, Abtreibungsrechte und andere postmaterialistische Themen den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit ersetzt. Daher sollten die Sozialdemokraten ihre politische Agenda stärker auf die sogenannte kulturelle Dimension ausrichten.
Andererseits zeigen unsere Ergebnisse, dass sozialdemokratische Parteien in größerem Maße von Arbeitsmarktpolitiken wie Kurzarbeit profitieren als konservative Parteien. Da die soziale Ungleichheit innerhalb und zwischen den Ländern zunimmt, ist es denkbar, dass wirtschaftliche Fragen an Bedeutung gewinnen werden. Die COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 hat zu einem umfassenden Einsatz von Kurzarbeit geführt. Wenn diese Krise nachhaltige Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und den Arbeitsmarkt hat, besteht die Möglichkeit, dass linke Parteien in Zeiten globaler Turbulenzen wieder mehr Bedeutung als Vertreter*innen benachteiligter Schichten gewinnen. Eine Agenda, die sich hauptsächlich auf die Rechte und den Schutz der Arbeitnehmer*innen konzentriert, würde sozialdemokratischen Parteien die Möglichkeit geben, wieder mehr politischen Einfluss zu erlangen. Darüber hinaus könnten Umstrukturierungen im Kontext der digitalen Revolution auch für diese Parteien eine Chance sein. Insbesondere die Digitalisierung des Arbeitsmarktes birgt das Risiko eines steigenden Anteils prekärer und selbstständiger Arbeiter*innen, die sozialpolitischen Schutz fordern werden. Unsere Analysen zeigen, dass linke Parteien immer noch als glaubwürdige Fürsprecher*innen einer solchen Agenda wahrgenommen werden.
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Über die Autor*innen:
Flavia Fossati ist Assistenzprofessorin an der Swiss Graduate School of Public Administration (IDHEAP) der Universität Lausanne, Schweiz.
Philipp Trein ist Senior Researcher am Institut für Politikwissenschaft der Universität Lausanne und Senior Fellow an der University of California, Berkeley, USA.