Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Wie kommt die Politik zu den Eltern? Staatliche Einflussfaktoren auf die familiale Arbeitsteilung und die Geschlechterdifferenz

Staatliche Steuerungsstrategien zielen auf bestimmte Handlungsweisen von Subjekten. Ihr Erfolg hängt maßgeblich davon ab, welche Bedeutung die Adressierten den Strategien zuschreiben und welche Verhaltensweisen sie letztlich aus diesen ableiten. Mit der Geburt von Kindern entstehen Fürsorgeverpflichtungen, durch die Arbeitskraft gebunden wird, die andernfalls dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Eltern werden im Anschluss an die Familiengründung somit in besonderer Weise zum Steuerungsziel staatlicher Interventionen. Leistungsansprüche der Eltern gegenüber dem Staat, z. B.  Elterngeld setzen Zeit zur Kindesfürsorge jenseits der Wertschöpfung frei. Diese Leistungsansprüche, genauer: ihre Interpretation innerhalb der Paarbeziehung, strukturieren die Handlungsmöglichkeiten für die elterliche Arbeitsteilung und auf diese Weise eine Geschlechterdifferenz. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Steuerungswirkung familienpolitischer Leistungen im Zusammenspiel mit den institutionellen Interventionen einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik die familiäre Arbeitsteilung in den ersten Jahren nach der Geburt tatsächlich beeinflusst.

Die Frage verweist auf eine Forschungslücke, die sich auf mehreren Analyseebenen bewegt. Vorausgesetzt, dass Geschlechterdifferenzierungen maßgeblich auf der Ebene der Paarbeziehung und deren Arbeitsteilung entstehen, jedoch in wohlfahrtsstaatliche Rahmenbedingungen eingebettet sind, ist ein direkter Zusammenhang zwischen Mikro- und Makroebene nicht ohne Weiteres herzustellen. Um den Zusammenhängen auf unterschiedlichen Ebenen Rechnung zu tragen, wurde mit Hilfe eines Mehrebenendesigns die Implementierung familienpolitischer Instrumente auf deren Steuerungswirkung an verschiedenen zeitlichen Abschnitten des Politikprozesses untersucht. Erste Erkenntnisse lieferte die Analyse der Ausschüttung monetärer Mittel und ihrer Berechtigungsmodalitäten, da ich hierüber den steuerungspolitischen Outcome der Gesetzesänderungen ermitteln konnte. Der Impact wurde mittels der Deutungen der Leistungsberechtigten untersucht. Hierzu wurde eigens ein familienpolitisches Brettspiel als Erhebungsinstrument entwickelt.

Outcome – die unmittelbare Steuerungswirkung der neuen Familienpolitik

Die Analyse der verschiedenen Gesetze ergab folgende Ergebnisse:

  1. Bedarfsgebundene Transferleistungen zur familialen Unterhaltsdeckung werden reduziert
  2. Es findet ein Ausbau von Lohnersatzleistungen und Steuerfreibeträgen zur Gewährung der Kindesbetreuung statt
  3. Es erfolgt eine Überführung von ehemals wohlfahrtsstaatlichen Leistungen in einen personenbezogenen und haushaltsnahen Dienstleistungssektor.

Daraus ergeben sich zwei scheinbar gegensätzliche steuerungspolitische Konsequenzen für mögliche arbeitsteilige Arrangements in der Paarbeziehung: So werden einerseits bedarfsgebundene Transferleistungen den Bedarfsgemeinschaften als Einkommen des Kindes angerechnet, während gleichzeitig Lohnersatzleistungen wie das Elterngeld und kindesbedingte Steuerfreibeträge ausgedehnt werden. Hierbei handelt es sich um selektive Steuerungsstrategien, die je nach Einkommenssituation der Familien unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen: Einkommensstarken Elternpaaren wird eine Wahlfreiheit zwischen unterschiedlichen Arrangements der Arbeitsteilung zugestanden, da – zumindest bei kurzen Erwerbsunterbrechungen – relativ hohe Lohnersatzleistungen die familiale Unterhaltssicherung gewährleisten und hohe Einkommenssteuerrückerstattungen weiterhin eine komplementäre Arbeitsteilung ermöglichen. Demgegenüber müssen einkommensschwache Familien infolge der restriktiven Anrechnung familienpolitischer Leistungen weitreichende materielle Einschränkungen verkraften. Durch die konsequente Kopplung des Anspruchs auf familienpolitische Transferleistungen an das Einkommen sollen einkommensschwache Eltern verstärkt für den Arbeitsmarkt aktiviert werden.

Impact – die langfristige Steuerungswirkung der neuen Familienpolitik

Die Mikroperspektive zeigt, dass die jungen Eltern trotz einer reduzierten Vergabe die verbleibenden familienpolitischen Leistungen zugunsten eines männlichen Familienernährermodells nutzen – nicht zuletzt aufgrund des Gender Pay Gap. Ihre Arbeitsteilung begründeten die Paare mit der materiellen Position der Elternteile. Da es aus der Perspektive der Haushaltsführung wirtschaftlicher sei, auf das Einkommen der geringer verdienenden Person zu verzichten, wird das Elterngeld ausnahmslos der Mutter zugesprochen. Durch die Verrechnung des (potenziellen) Lohneinkommens der Mutter mit den Kosten der Kindertagesbetreuung wird überdies deutlich, dass auch nach dem Elterngeldbezug die Kindesbetreuung im Aufgabenbereich der Mutter verbleibt. Wirtschaftlich erscheint den jungen Eltern die mütterliche Rückkehr in eine Lohnarbeit unsinnig, da dies zwar das Familieneinkommen aufstocken, ebenso aber auch die Kinderbetreuungskosten erhöhen würde. Ein großer Teil des zusätzlichen Lohneinkommens wäre umgehend wieder gebunden. Darüber hinaus müssten sie auf den Splittingvorteil, der über die Differenz im Einkommen der Ehegatten entsteht, verzichten. Unterm Strich verfügt die Familie am Ende des Monats über kein höheres Einkommen.

Selbstermächtigung durch den Leistungsbezug

In der Lesart der jungen Eltern kommt dem Vater jedoch nicht die privilegierte Position zu, vielmehr verkehrt sich das höhere Lohneinkommen ab der Geburt des ersten Kindes aus ihrer Perspektive in einen Nachteil. Weil über das mütterliche Einkommen der finanzielle Bedarf der Familie nicht gedeckt werden kann, werden die Väter für die Finanzierung der Familie verantwortlich gemacht. Gleichzeitig bleibt den Vätern damit der besondere Genuss verwehrt, Zeit mit dem neugeborenen Säugling zu verbringen. Während der Schwangerschaft, in der die Grundentscheidung über die Einkommensverteilung zwischen den Elternteilen getroffen wird, kommt sowohl den Fallmanagerinnen der Jobcenter als auch den Arbeitgeberinnen eine bedeutende Position zu. Ab der Geburt jedoch fallen eigensinnige Widersetzungen der Mütter auf: Ihr Anspruch auf familienpolitische Leistungen erlaubt eine Selbstermächtigung gegenüber Arbeitgeberinnen und den Jobcentern.

Die Paarbeziehung als Arena von Umdeutungen

Indem aus der Perspektive der befragten Paare das Zusammenwirken der Steuerungswirkung familienpolitischer Leistungen mit den Erwartungen der Arbeitgeber sowie der Fachkräfte in den Jobcentern herausgearbeitet wird, werden die widersprüchlichen Anforderungen, welche innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft an Eltern gerichtet werden, ebenso sichtbar wie deren Bewältigung mittels Rückgriff auf eine geschlechterdifferenzierende Arbeitsteilung. Das aktive Selbst, welches eine eigenverantwortliche Eingliederung in den Arbeitsmarkt anstrebt, steht in einem denkbar großen Widerspruch zu dem Autonomieverlust, den Eltern bei der Familiengründung erleben: Ihre Handlungen sind durch die Versorgung eines abhängigen Kindes maßgeblich fremdbestimmt und nicht zuletzt dadurch eingeschränkt, dass Versorgungstätigkeiten die Integration in den Arbeitsmarkt entscheidend behindern. Individuell ist es den untersuchten Eltern nicht möglich, diese strukturellen Widersprüche einer wertförmig organisierten Wirtschaft aufzulösen. Aus diesem Grund wird die Paarbeziehung mit der Familiengründung zur Arena von Umdeutungen, durch welche eine Anpassung an die geschlechtlichen Anforderungen des Arbeitsmarktes gelingt. Der von der neuen Familienpolitik ausgehenden Aufforderung zur Eigenverantwortlichkeit kommen die Elternpaare in der Weise nach, dass sie ein Arrangement mit den sozialen Verhältnissen als eigene Wahl aktiv umdeuten und materielle Notwendigkeiten als eine selbstbestimmte Entscheidung anpreisen. Indem sie die Unvereinbarkeit der an sie gerichteten Anforderungen durch eine Fügung in die Strukturen als „freie Entscheidung“ proklamieren, generieren sie Handlungsfähigkeit und kommen so der steuerungspolitischen Aufforderung zur eigenverantwortlichen Inszenierung eines aktiven Selbst nach. Die restriktive Bewältigungsstrategie der demonstrierten Handlungsmacht in einer Situation, in welcher der Spielraum durch die Versorgung eines elementar abhängigen Kindes grundsätzlich eingeschränkt ist, verweist auf eine populäre Handlungsstrategie zur Bewältigung von Vereinbarkeitskonflikten, die in abhängigen Lebenslagen entstehen. Diese Form der Widerspruchsbewältigung ist deshalb problematisch, weil sie die alltäglichen Konflikte nicht auf die Verhältnisse zurückführt und damit deren Veränderung verhindert.

Staatliche Einflussfaktoren auf die Geschlechterdifferenz

Während die komplementäre Ausrichtung der paarinternen Arbeitsteilung mit den Erfordernissen einer Verwertungslogik im Kapitalismus erklärt werden kann, stehen die dabei hervorgebrachten Geschlechterdifferenzierungen keineswegs in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dessen Erfordernissen. Erst dadurch, dass Müttern die Ablehnung einer Erwerbsarbeit ge­sellschaftlich und ökonomisch eher zugestanden und ihnen zugeschrieben wird, wirken sich die weitgehend geschlechtsneutral konzipierten staatlichen Steuerungsstrategien zugunsten einer Verfestigung der Geschlechterdifferenz in der Elternschaft aus.

Weil die sich damit etablierende Geschlechterordnung nicht kollektiv ausgehandelt wird, sondern sich im Zuge einer Vielzahl von Arrangements zwischen Eltern verallgemeinert, erscheint sie den Subjekten als äußerliche und damit objektive Ordnung. Letztlich ergibt sich ein schein­bar nicht zu durchbrechender Kreislauf, bei dem die Umdeutungen, die Eltern innerhalb ihrer Paarbeziehung vornehmen dazu beitragen, dass Arbeitgeber sowie die Fachkräfte in Jobcentern ihre Erwartungen laufend bestätigt sehen.

Dr. Lisa Yashodhara Haller hat im Campus-Verlag das Buch "Elternschaft im Kapitalismus - Staatliche Einflussfaktoren auf die Arbeitsteilung junger Eltern"herausgegeben.