Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Soziale Medien als gesellschaftspolitische Herausforderung

Neues Kommunikationspotential

Im Zeitalter der klassischen Medien, in der Massenmedien strukturell die einzig relevanten Publikations- und Kommunikationskanäle darstellten, war es für Bürger*innen schwer, sich massenöffentlich zu äußern. In der Regel dominierten deshalb Kommunikationsprofis wie z.B. Journalist*innen oder Politiker*innen mit ihren Botschaften. Der Philosoph Ralf Dahrendorf ordnete sie daher der so genannten „aktiven Öffentlichkeit“ zu. Bürger*innen verblieben meist in der Zuschauerrolle (passive Öffentlichkeit). Dank sozialer Medien können sich Bürger*innen aber aktuell besonders leicht öffentlichkeitswirksam äußern. Dadurch entsteht ein enormes Kommunikationspotenzial, weil Bürger*innen jetzt deutlich leichter in das Feld der aktiven Öffentlichkeit vordringen können. Aber auch für die klassischen Akteure der aktiven Öffentlichkeit entstand mit diesen neuen Publikations- und Kommunikationskanälen ein neues Kommunikationspotential, mit dem sich z.B. Wähler kostengünstig und ungefiltert erreichen lassen. Folglich setzen Parteien oder auch staatliche Institutionen (z.B. die Bundesregierung) in ihrer Kommunikation auf Dienste wie Facebook oder Twitter.

Klassische Medien forcieren und stimulieren soziale Medien

Fast alle „klassischen“ Massenmedien sind in Deutschland auch mit Onlinerepräsentanzen bei Facebook oder Twitter vertreten. In TV-Nachrichten werden zunehmend Facebook-Posts oder Tweets direkt zitiert. Beim so genannten Social-TV werden die Zuschauer*innen sogar zum Twittern aufgefordert. Prominentestes Beispiel ist der ARD-Teletwitter (Tweets der Zuschauer werden zu einer laufenden Sendung im ARD Videotext eingeblendet). Auch bei politischen Talkshows werden Zuschauer explizit zum Twittern motiviert, indem Hashtasgs (z.B: #berlindirekt) eingeblendet werden. Gleichzeitig suggeriert diese Form der Berichterstattung, dass Meinungsäußerungen in sozialen Medien besonders sinnvoll sind, um crossmediale Beachtung zu finden. Doch die Problemlagen rund um das Thema Social Media sind vielfältig.

Nutzerbeteiligung ist gekoppelt an das Medieninteresse

Studien zum Social-TV oder zu Wahlkampf-Hashtags (z.B: #btw)¹ zeigen, dass es eine enge Kopplung zwischen der Kommunikationsaktivität und der massenmedialen Aufmerksamkeit gibt. Zuschauer*innen beteiligen sich bei Diskussionen zu politischen Talkshows² oft nur mäßig. Bei Medienevents wie dem TV-Duell³ zur Bundestagswahl ist die Beteiligung dagegen deutlich höher. Ähnliches gilt für Parteitage. Hier war beispielsweise beim CDU-Bundesparteitag 2018 die Nutzerbeteiligung sehr hoch, da die Wahl der neuen CDU-Vorsitzenden auf medial besonders großes Interesse stieß. Im Kontext von Bundes- und Landtagswahlen werden die Bürger*innen erst nach Verkündung der ersten Hochrechnungen verstärkt aktiv, also dann, wenn die mediale Aufmerksamkeit ebenfalls besonders hoch ist, aber die Wähler nichts mehr entscheiden können (Abbildung 1).

Abbildung 1:  #btw17 Nutzerbeteiligung am Wahltag

Motive: Empörung statt Diskurs

Inhaltlich scheint immer wieder die Empörung z.B. über Wahlergebnisse ein zentrales Kommunikationsmotiv zu sein. So setzen besonders erfolgreich die politischen Kräfte professionell auf soziale Medien, die nicht im demokratischen Kernspektrum zu verorten sind. In bestimmten Fällen wird Populisten die Social-Media-Öffentlichkeit sogar völlig überlassen. Ein Beispiel sind Social-Media-Diskussionen zu Gerichtsentscheidungen im Kontext von Tötungsdelikten durch minderjährige männliche Täter (mit Migrationshintergrund). Die Justiz wird dann teilweise bei rechtsstaatlichen, aber letztlich schwer kommunizierbaren Urteilen, seitens der Politik argumentativ alleingelassen.

Risiken beim Datenschutz und Filterprozessen

Ein weiteres Problem sozialer Medien liegt strukturell in der undemokratischen Organisationsstruktur durch Monopolisten wie Facebook oder Twitter. Zwar gibt es Regulierungsversuche (Stichwort: Netzwerkdurchsetzungsgesetz), aber letztlich wird die gesellschaftspolitische Verantwortung einer Black-Box aus privatwirtschaftlichen Akteuren überlassen. Datenschutzprobleme, die Erkennung von Social-Bots oder Fake-News sind dabei nur ein Teil des Problems. Filterprozesse im eigenen News-Feed und der transparente Zugang zu den so genannten Public-APIs (öffentliche Datenschnittstellen) können jederzeit von den Diensteanbietern verändert werden. Twitter oder Facebook werden so zu den neuen Gatekeepern der öffentlichen Meinung.

Demokratisierung der politischen Öffentlichkeit durch soziale Medien?

Dass soziale Medien - jenseits der skizzierten Probleme - theoretisch die Chance einer Demokratisierung der politischen Öffentlichkeit bieten könnten, ist vor allem mit den anfänglichen Hoffnungen des „Arabischen Frühlings“ verknüpft. Twitter und Facebook wurden in Ägypten und Tunesien als alternative Publikationskanäle genutzt, um die „Systemmedien“ der autoritären Regime zu umgehen, und um Proteste zu organisieren. Dieser positive Social-Media-Narrativ, sah in den sozialen Medien das Kommunikationspotenzial, die Weisheit der Masse demokratisierend zu nutzen, so dass teilweise autoritäre Systeme reformiert wurden. Dass sich soziale Medien aber auch als Arena publikumswirksamer Legitimationsbeschaffung instrumentalisieren lassen, wurde ausgeblendet. Empirisch zeigen sich in der Tendenz abgekoppelte Claquer-Strukturen, die mit Blick auf die Masse der Nutzer einen gemeinsamen Meinungsaustausch als unwahrscheinlich erscheinen lassen.

Öffentlichkeit ist nicht gratis zu haben

Die Bedeutung sozialer Medien für die demokratische Öffentlichkeit hängt wesentlich vom Verhalten der klassischen Öffentlichkeitsakteure ab. Mit Blick auf Abgeordnete oder die Regierung gilt es deshalb danach zu fragen, ob soziale Medien lediglich als günstiges PR-Mittel eingesetzt werden, oder einen ernsthaften Bürgerdialog initiieren sollen. Auf Seiten der Medien und Journalisten stellt sich auch die Ressourcenfrage. Wird auf Gratis-O-Töne z.B. aus Twitter lediglich aus Bequemlichkeit zurückgegriffen, oder dienen die Stimmungen und Emotionen aus dem Netz wirklich dem Zwecke der hochwertigen Information?

Notwendigkeit gesellschaftspolitischer Verantwortung

Letztlich muss insgesamt gesellschaftspolitisch die Frage nach der Verantwortung für die neuen Publikationskanäle beantwortet werden, damit die neuen Kommunikationschancen gegenüber den Kommunikationsrisiken überwiegen. Dabei geht es ganz grundsätzlich um die sensible Thematik bei der Definition und Kontrolle demokratischer Spielregeln der Netz-Öffentlichkeit.