Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Die Europäische Union als Vorbild: Die Europäisierung der Asylpolitik in EU Nachbarstaaten

Autorin: Nina Guerin

Im Sommer 2015 brach das Asylsystem der Europäischen Union (EU), angesichts gestiegener Asylbewerbungszahlen in Europa, temporär zusammen. Bislang konnten sich die Regierungschefs der EU Mitgliedstaaten nicht in auf eine dringend notwendige Reform des europäischen Asylsystems verständigen. Um trotz dieser Blockade in Zukunft das Europäische Asylsystem vor einem erneuten Kollaps zu bewahren, forderte Sebastian Kurz, Österreichischer Bundeskanzler: "Die einzige Lösung, um (…) das Sterben im Mittelmeer zu beenden, ist, wenn man sicherstellt, dass jemand, der sich illegal auf den Weg macht, nicht in Mitteleuropa ankommt"¹.Um dieses Ziel zu erreichen, fordert er die Einrichtung von sogenannten ‚Asyl- und Transitzentren‘ in Nordafrika, zum Beispiel in Marokko. In diesen Zentren könnten Flüchtlinge, die in der EU Asyl suchen ihren Asylantrag stellen. Nur im Falle eines positiven Bescheids dürften sie EU Boden betreten. Dieses Vorgehen spiegelt den Wunsch vieler EU Regierungschefs wider, die europäischen Probleme im Bereich der Asylpolitik an die Staaten, mit denen die EU im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) kooperiert, auszulagern.

Asylpolitik hinter den EU Außengrenzen

Dadurch rücken die ENP Staaten, das sind Staaten im Mittelmeerraum (Ägypten, Algerien, Israel, Jordanien, Libyen, Marokko, Syrien, Tunesien und in Osteuropa (Armenien, Azerbaijan, Belarus, Georgien, Moldau, Ukraine), verstärkt in den Interessensfokus von Politiker/innen und Wissenschaftler/innen gleichermaßen. Die zentrale Frage ist: Welche Gesetze regeln in diesen Ländern den Umgang mit Asylbewerber/innen und stehen diese in Einklang mit den Gesetzen der EU Mitgliedstaaten? Obgleich sich die Asylpolitik auch innerhalb der EU unterscheidet, weisen doch alle EU Mitgliedstaaten einen vergleichsweisen ähnlichen Standard auf. 1999 wurden auf EU Ebene zum ersten Mal gemeinsame asylpolitische Mindeststandards definiert die in allen EU Staaten gelten. Diese garantieren, dass Asylbewerber/innen in allen EU Mitgliedstaaten ein faires Recht auf Asyl haben und Asylbewerber/innen während des Asylprozesses bestimmte Rechte gewährt werden (z. B. das Recht rechtzeitig über die Asylentscheidung informiert zu werden).

Eine asylpolitische Reformwelle mit sehr unterschiedlichen Folgen

Seit den 1990er Jahren haben dreizehn der fünfzehn ENP-Staaten asylpolitische Reformen verabschiedet. Während einige dieser Reformen eine Angleichung an die europäische Asylpolitik zur Folge hatten, hatten andere dies nicht (siehe Abbildung). Vergleicht man z. B. die Republik Moldau mit Tunesien, wird deutlich wie unterschiedlich die asylpolitischen Reformen verlaufen können: Vor der asylpolitischen Reformwelle hatte keines der beiden Länder ein Gesetzt, dass den Umgang mit Flüchtlingen regelt. Die Republik Moldau hat ihre Asylpolitik 2002 reformiert und sie der europäischen Asylpolitik angeglichen: Das moldauische Asylgesetz von 2002 gewährt Asylsuchenden faire Chancen auf Asyl und umfassende Rechte (z. B. das Recht gegen eine Ablehnung des Asylantrages Einspruch zu erheben). Tunesien wiederum hat seine Asylpolitik lediglich dahingehend reformiert, dass es 2011 ein Kooperationsabkommen mit der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen (UNHCR) unterzeichnet hat, weshalb Flüchtlinge nun überhaupt erst einen offiziellen Asylantrag stellen können. Einen gesetzlich geregelten Asylbewerbungsprozess oder Rechte für Asylbewerberinnen gibt es aber weiterhin nicht.

 

Abbildung 1: Unterschiede in der europäischen Asylpolitik 

ENP Staaten zwischen Reformwille und Reformdruck

Ich habe mich daher gefragt, unter welchen Bedingungen ENP Staaten ihre Asylpolitik der europäischen Asylpolitik angleichen. Die in vielen Augen wichtigste Frage hierbei ist, ob die EU in der Lage ist, ihre Nachbarstaaten dazu zu bringen, auch gegen ursprüngliche Widerstände ihre Asylpolitik zu europäisieren. Ein Vergleich aller asylpolitischen Reformen in ENP Staaten zeigt, dass dem nicht so ist: ENP Staaten passen ihre nationale Asylpolitik der europäischen an, wenn dies ihnen erlaubt zu beweisen, dass sie moderne, demokratische Asylpolitik machen und sie somit ihr Ansehen als Demokratie verbessern können. Die ENP Staaten ahmen also die Europäische Politik aufgrund ihrer Symbolik nach. Das bedeutet auch, dass ENP Staaten nur dann die europäische Asylpolitik imitieren, wenn Sie einen strategischen Nutzen daraus ziehen – in diesem Fall die Steigerung ihrer Reputation. Ob die EU Druck ausübt oder ENP Staaten Anreize bietet, ihre Asylpolitik der europäischen Asylpolitik anzugleichen, hat keinen Einfluss auf die Europäisierung der Asylpolitik in ENP Staaten. Die Reaktion von Nasser Bourrita, Marokanischer Außenminister, auf den Vorschlag von Sebastian Kurz, in Ländern wie Marokko ‚Asyl-und Transitzentren‘ zu erbauen, illustriert dies prägnant: „Marokko ist generell gegen alle Arten von Zentren. Das ist Bestandteil unserer Migrationspolitik und eine nationale souveräne Position”².

Zum Artikel im Journal of European Public Policy