Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Demokratie ohne Demokrat/innen? Für Wachsamkeit, gegen Alarmismus

Wie wankelmütig die öffentliche Meinung in fundamentalen Fragen der Staatlichkeit und wie kurzlebig ein stabil geglaubtes Staatswesen sein kann, zeigt nichts eindrucksvoller als die wechselhafte Geschichte der deutschen Demokratie. Nachdem sich das deutsche Volk von Anhänger*innen des Faschismus zu überzeugten Demokrat*innen gewandelt hatte und sich der bundesrepublikanische Rechtsstaat auch in Krisen bewährte, keimte die Hoffnung, dass sich diese Demokratie nun als dauerhaft erweisen könnte. Wenn auch nicht jede/r ins Lied vom Ende der Geschichte einstimmen wollte, so herrschte um die Jahrtausendwende Einmütigkeit, dass den gefestigten deutschen Rechtsstaat und die liberalen Demokratien des Westens nichts so einfach aus dem Sattel heben würde.

Nur wenige Jahre später ist diese Gewissheit erschüttert. Im Angesicht autoritärer Verführer von Trump und Orban über Bolsonaro zu Modi schleicht die Einsicht ins Bewusstsein zurück, dass auch liberale Demokratien nicht unter den Schutz der Ewigkeitsgarantie fallen. Vor dem Aufkommen des populistischen Zeitgeists widmete sich die Politikwissenschaft der Frage, unter welchen Bedingungen die Demokratie prosperiert. Nun wendet man sich der Frage zu, unter welchen Bedingungen die Demokratie stirbt.

Demokratie muss verteidigt werden

Zentrale Einsicht dieser Forschungsrichtung bleibt das Petitum des Verfassungsrechtlers Böckenförde, demzufolge der liberale Rechtsstaat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Empirische Forschung der Politikwissenschaftler Levitky und Ziblatt zeigt, dass Demokratien nicht durch spektakuläre Umstürze ihr Ende finden. Stattdessen werden Demokratien schleichend durch das schrittweise Unterwandern abstrakter Normen ausgehöhlt, allen voran der Norm zur wechselseitigen Akzeptanz von Mehrheits- und Minderheitsparteien.

Für den Erhalt des demokratischen Staatswesens kommt es nicht nur auf konsensbereite Eliten, sondern auch auf die Bürger*innen selbst an. Es gehört zum Kanon politikwissenschaftlicher Erkenntnisse, dass Demokratien nur stabil sind, wenn sie auf dem Fundament breiter Bürgerunterstützung stehen. Das Volk wird nicht zuletzt als Korrektiv gebraucht, das nötigenfalls einem machtversessenen Herrscher in den Arm fällt und sich Verstößen gegen die demokratische Ordnung in den Weg stellt. In anderen Worten: Eine Demokratie ohne Demokraten ist schwer denkbar.

Erosion der Grundlagen?

Dieses Fundament der Demokratie bröckelt. Denn es häufen sich Indizien, dass der Souverän nicht mehr souverän sein will. Über Jahrzehnte zeigten sozialwissenschaftliche Untersuchungen regelmäßig, dass Bürger*innen westlicher Demokratien Kritik im Detail und an konkreten Institutionen äußern, zugleich aber nahezu ausnahmslos das grundsätzliche Prinzip der demokratischen Selbstregierung im liberalen Rechtsstaat unterstützen. In einer aufsehenerregenden Serie von Veröffentlichungen postulieren die Politikwissenschaftler Yascha Mounk und Roberto Foa, dass Bürger*innen nicht bloß den konkreten Repräsentant*innen der Demokratie die Unterstützung entzögen. Stattdessen werde die Demokratie selbst in Frage gestellt. Insbesondere die junge Generation hege Zweifel an der liberalen Demokratie, messe ihr weniger Bedeutung bei und äußere mehr Sympathie für alternative Regierungsformen. Anzeichen für die Erosion der Demokratieunterstützung finden Mounk und Foa in den USA, aber auch in anderen scheinbar konsolidierten Demokratien. Zeigen sich die Vorboten einer schleichenden Abwendung von der Demokratie auch hierzulande?

Auf Grundlage jüngst veröffentlichter repräsentativer Befragungen des European Values Survey lässt sich die Entwicklung verschiedener Indikatoren der Demokratieunterstützung zwischen 1999 und 2017 in Deutschland ablesen. Entgegen weit verbreiteten Niedergangshypothesen zeigen sich sowohl unter jungen als auch alten Bundesbürger*innen aber keine Anzeichen für eine Erosion der Demokratieunterstützung.

 

1999 bewertete nahezu jede/r Befragte ein “demokratisches politisches System” als ziemlich gut oder sehr gut. Die Zustimmung ist seitdem nochmals leicht angestiegen. Größere Skepsis als noch um die Jahrtausende (in Zeiten von New Public Management, Hartz- und Rürüp-Kommissionen) zeigen die Deutschen im Jahr 2017 gegenüber “Experten, die anstelle der Regierung entscheiden, was das Beste für das Land ist”. Keine Veränderungen zeigen sich in dem Wunsch “einen starken Staatschef zu haben, der sich nicht um ein Parlament und um Wahlen kümmern muss”. Statt die Verfallsthese zu stützen, legen diese Daten im Gegenteil eine anhaltend hohe Unterstützung für das demokratische System nahe – bemerkenswerte Unterschiede zwischen jungen und alten Bundesbürger*innen zeigen sich dabei nicht.

Parallel zu dieser Stabilität an systemischer Unterstützung zeigt sich ein bemerkenswertes Niveau politischer Frustration. 40% der Bürger äußern sich Unzufriedenheit über das politische System, nur eine Minderheit hat Vertrauen in den Bundestag und in die politischen Parteien vertrauten im Jahr 2017 sogar nur zwei von zehn Deutschen (nicht abgebildet). Vor dem Hintergrund weit verbreiteter Unzufriedenheit ist daher zu verstehen, dass die Popularität von Expert/innenregierungen zwar abnimmt, aber nach wie vor jeder/jedem zweiten Befragten unterstützt wird. Nicht minder bedenklich ist die stabile Minderheit von etwa 20 Prozent, die Offenheit für antidemokratischen Autoritarismus offenbart.

Ein großer Unterschied im Vergleich der letzten 20 Jahre zeigt sich im Anstieg des politischen Interesses der Bevölkerung. Die politisch aufgeheizte Stimmung manifestiert sich momentan nicht in einer Abwendung von der Demokratie, sondern in erhöhter Politisierung.

Insgesamt teilen also die allermeisten deutschen Bürger*innen Winston Churchills Demokratieverständnis, demzufolge Demokratie nicht perfekt, aber sicherlich besser sei als alle anderen Regierungsformen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden. Andererseits ist ein bemerkenswerter Teil der Bevölkerung strukturell politisch unzufrieden und eine kleine Minderheit offenbart dediziert antidemokratische Neigungen.

Unzufriedenheit als Gefahr für die Demokratie

Ein Grund weswegen sich die weit verbreitete Frustration bisher nicht in einer Abwendung des demokratischen Systems niederschlug mag darin liegen, dass kein/e politische/r Unternehmer*in auf den Plan trat, die/der diese Unzufriedenheit für sich nutzte und sie gegen die Demokratie in Stellung brachte. Eben dieser Elitenkonsens scheint in den USA und anderen Ländern des Westens gebrochen, wo Politiker*innen bereit sind, grundlegende Normen der Demokratie für politische Geländegewinne einzutauschen.

Die vorliegenden Daten zeigen keine Anhaltspunkte starker Erosionsprozesse in der Unterstützung für die Demokratie in Deutschland. Aber die wechselhafte Demokratiegeschichte unseres Landes erinnert wachsam zu bleiben, weil die Demokratie sich nicht selber schützen kann, sondern Menschen braucht, die selbstbestimmt leben wollen und bereit sind, für dieses System einzustehen.