Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Braucht der Rechtspopulismus Religion?

Wie es scheint, geht es derzeit an vielen Stellen in Deutschland um die Verteidigung des christlichen Abendlandes. So prangern Rechtspopulist*innen auf der Straße oder in den Parlamenten eine (kulturelle) Überfremdung an, die besonders die christlichen Wurzeln der nationalen Kultur beschädigen soll. Diese „Gefährdungswahrnehmung“ manifestierte sich maßgeblich durch die 2015 rasant gesteigerte Zuwanderung und Migrationsbewegungen nach Europa. Und viele Bürger*innen scheinen diesen Argumenten zu folgen. Doch welche Rolle spielt Religion in diesen Diskussionen? Angesichts der in Europa stetig voranschreitenden Säkularisierungsprozesse und einer seit den 1970er Jahren konstant schrumpfenden Schar an Menschen, die dem christlichen Glauben angehören, schien Religion und religiöse Zugehörigkeit weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden zu sein. Sicher, im Umfeld von christlichen Festtagen, zu medienwirksam präsentierten und inszenierten Kirchentagen und beim Diskurs zu kirchlichen Skandalen, wie zuletzt nach dem Gutachten über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, taucht das Thema Religion im öffentlichen Diskurs auf. Doch allein die negative Prägung der meisten dieser Debatten unterstrichen eher eine nachlassende Bedeutung von Religion als politischen Faktor. Die vehementen Forderungen der Verteidigung eines christlichen Abendlandes konterkarieren allerdings eine solche Sicht auf die politische Bedeutung von Religion nun nachhaltig.

Religiöse Menschen – ein Querschnitt der Gesellschaft

Die wenigen existierenden empirischen Studien zu diesem Thema zeigen, Christ zu sein schützt weder vor einer Anfälligkeit für populistische Argumente und Abwertung von Fremdgruppen, noch befördert es eine entsprechende Neigung. Dieser Befund ist so beruhigend wie ernüchternd. Ernüchternd ist er für die christlichen Kirchen. Deren ablehnende Position zu rechtspopulistischen, antipluralistischen Standpunkten spiegelt sich nämlich keineswegs 1-zu-1 unter ihren Mitgliedern wider. Dort finden sich überzeugte Flüchtlingshelfer mit einer aktiven Gegenposition zu populistischen Tendenzen ebenso, wie Gläubige, die zumindest eine gewisse Nähe oder sogar Wahlverwandtschaft mit einigen populistischen Positionen aufweisen. Ob Islam, Homosexualität, „Genderismus“ und vielleicht sogar noch Frauenordination – all das sehen letztere eher kritisch. Christenmenschen sind also „normale“ Bürger*innen, was nur bedingt überrascht, stellen Christen ja auch nur ein Querschnitt aus der Bevölkerung dar. Ist Religion und religiöse Zugehörigkeit also unbedeutend für den Rechtspopulismus?

Religiöse Zugehörigkeit als kultureller Referenzrahmen

Auf diese Frage muss man dezidiert mit Nein antworten. Religiose Zugehörigkeit spielt für den Rechtspopulismus eine beachtliche, wenn nicht gar eine entscheidende Rolle. Nur gilt dies nicht auf der Seite von Christen und Nichtchristen. Es ist die religiöse Zugehörigkeit der von Rechtspopulisten am stärksten abgelehnten Referenzgruppe(n), der eine entscheidende Bedeutung für die Erfolge von RN, AfD, FIDESZ; PiS etc. bei Wahlen zukommt. So sind die europaweiten Gewinne rechtspopulistischer Parteien bei Wahlen nicht denkbar ohne die Möglichkeit, Furcht und Angst vor einer kulturellen Überfremdung durch den Islam und den – zuwandernden – Muslimen zu erzeugen. Zwar wird im öffentlichen Diskurs viel von Migrant*innen als Referenzobjekt der Ablehnung gesprochen, Angst hat der/die besorgte Bürger*in aber vor allem vor den muslimischen Migrant*innen. Die religiöse Zugehörigkeit bestimmt maßgeblich deren Fremdheit. So entfaltet sich ein beachtliches Zustimmungspotential für die, auf Angst und Abgrenzung setzenden Populist*innen: Bereits 2013 fühlten sich knapp 60% der Deutschen durch den Islam bedroht oder die Hälfte der Deutschen bekundete Angst vor einer kulturellen Überfremdung. Das Wort „kulturell“ stellt die Verbindung zu Religion dar. Es sind eben nicht nur andere Menschen, die kommen, sie bringen aus Sicht der Eingesessenen eine (scheinbar) eindeutig erkennbare, andere Kultur mit.

Die Ablehnung des „kulturell anderen“ weitet sich aus

Da passt es ins Bild, dass man „den Islam“ über seine Kulturalität ethnisieren und mit Terror und Gewalt in Verbindung bringen kann. Der Zugriff auf realistische Bedrohungsszenarien stützt, ganz im Sinne sozialpsychologischer Theorien, bei vielen Bürgern bereits länger existierende Wahrnehmungen (symbolischer) Bedrohung. Muslime sind nicht nur fremd, sondern auch gefährlich. Belege für diese Einschätzung findet man dann ja in Tageschau, heute, RTL aktuell, RT, Bild, in Facebook, Twitter und anderen (sozialen) Medien zuhauf. Die religiöse Zugehörigkeit wird somit zum zentralen Merkmal der Identifikation des „Feindes“. Dieser Zuschreibungsmodus birgt Gefahren: So sind es eben nicht nur die muslimischen Zuwanderer in den Fluchtbewegungen seit 2015, welche zum „Feind“ werden. Auch Muslime, die in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben, werden über die Zuschreibung „Muslim“ in die Gruppe der „Feinde“, gerückt, die man über kurz oder lang loswerden will. Mehr noch. Der Radius der „Feinde“ wird von Populisten auch auf die Personen übertragen, die diesen Muslimen helfen und sich für sie einsetzen. In argumentativer Weiterführung – und oft unter Rückgriff auf Verschwörungstheorien – stellen sich diese „Muslimversteher“ gegen das Wohl des (als homogen verstandenen) „Volkes“, und dieses zu kennen, schreiben sich Rechtspopulisten ja selbstbewusst zu. In diesem Ausgrenzungsprozess werden auch andere Minderheiten in der Gesellschaft Ziel populistischer Exklusion. So sind Antigenderismus und Antisemitismus empirisch signifikant mit antimuslimischem Rassismus und Islamophobie verbunden. Gerade die Nähe der Anhänger von Populisten zum Antisemitismus erscheint paradox, wenn man die Verweise von Rechtspopulisten auf den Antisemitismus der Muslime und den eigenen Anspruch auf Schutz des „christlich-jüdischen“ Abendlandes betrachtet.

Missbrauch der Religion durch Populismus

Fasst man diese, empirisch gestützten Beobachtungen, zusammen, dann ist die im Titel aufgeworfene Frage mit einem klaren Ja zu beantworten. Der Rechtspopulismus benötigt die religiöse Zugehörigkeit der Muslime, um ein Feindbild mit einer real existierenden sozialen Gruppe zu verbinden. Auf diese Weise erreichen sie eine Homogenisierung dieses Feindbildes und können sich bedroht fühlende Menschen mobilisieren. Entsprechend dieser Erfolgslogik wird das Bild der kulturellen Differenzen der Muslime zu allen anderen Bürger*innen bestärkt und gepflegt. Dies erweist sich als erfolgreiche Strategie, werden gerade die Differenzen zu Mitgliedern einer muslimischen Glaubensrichtung von vielen Bürgern als unüberbrückbar und nicht auflösbar eingeschätzt. Die aus solchen Prozessen entstehenden Polarisierungs- und Radikalisierungsbewegungen sind bekannt – die daraus entstehenden Gefahren für unsere gesellschaftliche und politische Ordnung bislang nur in Teilen.

Weiter Infos zum Thema finden Sie bei Pickel/Yendell (2018) und Hildalgo/Hildmann/Yendell (2018)