Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft
«

Stellungnahme der DVPW zum Referent*innenentwurf des BMBF zur Reform des WissZeitVG, Juni 2023

Die Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) nimmt wie folgt zu den im Juni 2023 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vorgeschlagenen Änderungen im Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) Stellung:

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern mangelt es in Deutschland an entfristeten Stellen in Forschung und Lehre, die nicht Professuren sind. Deshalb muss jede Reform des WissZeitVG zwingend durch weitere Reformen begleitet werden, die andere Beschäftigungsmodelle entwickeln und klären, wie diese finanziell absichert werden sollen. Deshalb empfiehlt die DVPW, dass die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes an die Einrichtung eines Runden Tisches von Bund und Ländern gekoppelt wird. Nur auf der Basis einer Verständigung über die zukünftige Finanzierung und Gestaltung entfristeter Stellen kann sinnvoll über die Rahmenbedingungen befristeter Beschäftigungen während der Postdoc-Phase entschieden werden. Ohne eine Ausweitung unbefristeter Stellen wird es dabei nicht gelingen, Verlässlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Familienfreundlichkeit miteinander zu vereinbaren.

Die DVPW empfiehlt den Koalitionspartnern, dem Entwurf des BMBF in der vorliegenden Fassung nicht zuzustimmen. Stattdessen schlagen wir folgende Änderungen vor:

1) Höchstbefristungsdauer in der Qualifizierungsbefristung nach der Promotion

Das vom BMBF vorgeschlagene „4+2-Modell“ greift zu kurz: Angesichts der prekären Grundfinanzierung der deutschen Hochschulen, besteht die Gefahr, dass sie Postdoktorand*innen nur für einmalig vier Jahre beschäftigen, aber keine Verträge mit Anschlusszusagen schließen (können). Dementsprechend führt der BMBF-Reformvorschlag de facto zu einer Verschlechterung der Bedingungen für Wissenschaftler*innen nach der Promotion, da sie dann nur noch vier statt sechs Jahre beschäftigt werden. Wir schlagen deshalb folgendes Tenure-Track Modell vor:

Nach der Promotion können Wissenschaftler*innen auf Haushaltsstellen einmalig befristet beschäftigt werden, jedoch nur unter der Bedingung verbindlicher und transparenter Kriterien für eine anschließende Entfristung, die sich an einer prinzipiellen Berufbarkeit auf eine Professur orientieren. Die Vertragslaufzeit darf vier Jahre nicht unterschreiten. Nur so ist eine angemessene Entwicklung in den drei Kernbereichen Lehre, Forschung und Selbstverwaltung hin zur Berufbarkeit auf eine Professur möglich. Für Daueraufgaben braucht es auch entfristete wissenschaftliche Stellen jenseits der Professur (z.B. Lehrkräfte für besondere Aufgaben, Studiengangskoordination). Wer leistungsstarke Hochschulen möchte, muss daher für eine angemessene Finanzierung sorgen, die derartige Entfristungen auch zulässt.

2) Mindestvertragslaufzeiten

Die DVPW begrüßt prinzipiell die im Referent*innenentwurf vorgeschlagenen Änderungen zu Mindestvertragslaufzeiten, schlägt aber vor, zwischen Haushaltsstellen und Drittmittelstellen zu differenzieren.

Für Haushaltsstellen gilt:

Die Erstanstellung von Promovierenden soll eine zeitliche Dauer umfassen, welche der durchschnittlichen Promotionsdauer im jeweiligen Fach entspricht. In der Politikwissenschaft wären dies mindestens vier Jahre. Diese Veränderung soll einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die bisherige Praxis der Kettenverträge zu unterbinden.

In der Postdoc-Phase darf die Mindestvertragslaufzeit vier Jahre nicht unterschreiten. Entsprechend unseres Tenure-Track-Modells (s. Punkt 1) sollte in der Postdoc-Phase keine Befristung ohne Anschlussperspektive erfolgen.

Für Drittmittelstellen gilt:

Die DVPW fordert, dass die Förderinstitutionen die Projektdauer entsprechend an die Mindestvertragslaufzeiten von Haushaltsstellen anpassen. Falls die Projektdauer dennoch kürzer ist, müssen die Arbeitsverträge für Promovierende und Postdoktorand*innen für die gesamte Projektdauer abgeschlossen werden.

3) Verhältnis von Qualifizierungsbefristung und Drittmittelbefristung

Der prinzipielle Vorrang der Qualifizierungsbefristung wäre nur unter zwei Voraussetzungen zu begrüßen: Zum einen muss die Projektlaufzeit der Mindestvertragslaufzeit für Haushaltsstellen entsprechen; derzeit beträgt die Regelförderung politikwissenschaftlicher Projekte bei der DFG drei Jahre und liegt bei vielen kleineren Stiftungen sogar darunter. Zum anderen muss gewährleistet sein, dass die individuelle Weiterentwicklung in Forschung, Lehre und Selbstverwaltung im Rahmen des Projektes möglich ist (was nicht bei allen Projekten der Fall ist, beispielsweise bei BMBF- oder EU-Horizon2020-Projekten).

4) Studienbegleitende Beschäftigung

Die DVPW begrüßt die Erhöhung der Höchstbefristungsdauer von studentischen Mitarbeiter*innen von sechs auf acht Jahre. Allerdings sprechen oft relevante praktische Gründe gegen eine Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr für diese Beschäftigten: Dies gilt beispielsweise mit Blick auf Datenerhebungsphasen in Forschungsprojekten und Tätigkeiten als studentische Tutor*innen. Aus diesem Grund votieren wir für eine Verkürzung der Mindestvertragslaufzeiten für studienbegleitende Beschäftigungsverhältnisse auf sechs Monate.

5) Weitere Elemente

Die DVPW hat bereits in ihrem Schreiben vom 16.01.2023 an das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und das BMBF auf die Notwendigkeit der gestärkten Familienfreundlichkeit eines novellierten WissZeitVG hingewiesen. Wir bedauern sehr, dass dieser Aspekt im Gesetzesentwurf keine Berücksichtigung gefunden hat. Auch Familienfreundlichkeit kann durch das Tenure-Track-Modell (s. Punkt 1) weit besser verwirklicht werden als durch das vorgeschlagene „4+2-Modell“, u.a. weil eine konkrete Entfristungsperspektive auch eine gute Basis zur Verwirklichung von Aufenthalten an ausländischen Universitäten während der Postdoc-Phase bietet. Aus Sicht der DVPW gilt: Wer es im deutschen Wissenschaftssystem mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ernst meint, der kommt um das Tenure-Track-Modell nicht herum.

Beschlossen von der Arbeitsgruppe WissZeitVG im Vorstand der DVPW am 30.06.2023.