Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft
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Position der DVPW zur Novellierung des WissZeitVG aus familienpolitischer Perspektive

Position der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) aus familienpolitischer Perspektive

Die Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) fordert ein Tenure-Track Modell für PostDocs, um Vereinbarkeit von Familie und Beruf an deutschen Universitäten zu verbessern

Aus Sicht der DVPW kommt in der aktuellen Diskussion über eine Novellierung des Wisssenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) der Aspekt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu kurz. Dabei wäre eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen ein wesentlicher Schritt, um die Attraktivität der Wissenschaftslaufbahn in Deutschland sicherzustellen und um gleichstellungspolitische Zielsetzungen zu erreichen. Die DVPW fordert deshalb, dass sich die geplante Novellierung des WissZeitVG darauf konzentriert, eine bessere Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren zu ermöglichen und die Weichen für möglichst frühe Karriereentscheidungen in der Post-Doc-Phase zu stellen (für Details siehe das Positionspapier der DVPW im Anhang). 

Die DVPW schlägt unter anderem vor, das deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen durch das WissZeitVG bislang zugebilligte Sonderbefristungsrecht auf die Beschäftigung auf Haushaltsstellen von nicht promovierten Wissenschaftler*innen zu begrenzen, es aber bei promovierten Wissenschaftler*innen zu streichen. An die Stelle der befristeten Beschäftigung promovierter Wissenschaftler*innen ohne Option auf Entfristung soll aus Sicht der DVPW ein dynamisches Tenure-Track-Modell treten. Dieses sieht vor, dass PostDocs auf etatisierten Stellen (sog. Haushalts- oder Landesstellen) grundsätzlich eine Entfristungsperspektive erhalten. Dabei wird innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums von vier bis sechs Jahren nach der Promotion auf der Basis vorher vereinbarter Kriterien, die sich an der Berufbarkeit auf eine Professur orientieren, im Rahmen eines formalisierten Evaluationsverfahrens über die Entfristung (also den Tenure) entschieden (für Details siehe Anhang).

Die DVPW unterstreicht, dass das TenureTrack-Modell nicht nur geeignet ist, die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit deutscher Universitäten und Forschungseinrichtungen zu stärken (denn Wissenschaftler*innen auf Tenure-Track-Stellen können sich besser auf innovative Forschung einlassen und sie werden weniger häufig in Länder mit attraktiveren Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft abwandern). Vielmehr kann das angedachte Modell insbesondere auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen erheblich verbessern. Denn die bisherige Praxis der – oftmals durch Verträge mit kurzen Laufzeiten – befristeten Beschäftigung promovierter Wissenschaftler*innen stellt gerade jungen Familien vor erhebliche Herausforderungen. Wissenschaftler*innen, deren Beschäftigungsverhältnisse befristet sind, können ihr Familienleben nicht planen. Sie können nicht nur nicht wissen, ob sie nach Ablauf ihrer aktuellen Beschäftigung ihre Familie weiter finanziell unterhalten können, sondern sie wissen auch nicht, ob sie am Ort ihrer aktuellen Beschäftigung bleiben können oder an welchen anderen Ort es sie verschlagen wird. Damit verbunden ist oftmals, dass sie entweder pendeln oder aber mehrmalige Ortswechsel auf sich nehmen müssen. Letztere benachteiligen Wissenschaftler*innen mit Familie gegenüber denjenigen ohne Familie, weil ihr Umzug an einen neuen Ort mit besonderen Herausforderungen verbunden ist: Für die Lebenspartner*innen muss eine neue Beschäftigung gefunden werden. Für die Kinder muss ein neuer Kindergarten oder eine neue Schule gesucht werden und sie müssen an ein neues Umfeld gewöhnt werden. Darüber hinaus gehen familiäre Netzwerke verloren, die insbesondere in Sondersituationen (etwa bei Krankheit) für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unverzichtbar sind. Diese Netzwerke müssen mit jedem Umzug neu aufgebaut werden. Um diesen besonderen Heraus-forderungen auszuweichen, schieben viele jungen Wissenschaftler*innen die Familienplanung immer wieder auf oder aber sie geben ihre Karrieren dran, um außerhalb des Wissenschafts-systems einer familienfreundlicheren Beschäftigung nachzugehen.

Aus Sicht der DVPW werden diese Herausforderungen durch die Entfristungsperspektive, die das Tenure-Track-Modell bietet, zwar nicht gänzlich beseitigt, sie werden aber erheblich gelindert. Das Tenure-Track-Modell gibt Wissenschaftler*innen das Mindestmaß an Planungssicherheit, das sie brauchen, um Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Aus diesem Grund verspricht das Tenure-Track-Modell zudem, den für das deutsche Wissenschaftssystem typischen „Gender-Knick“ zu lindern. Während der Frauenanteil an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen in der Promotionsphase zumeist noch recht hoch ist, sinkt er in der PostDoc-Phase rapide ab. Die durch die Befristung der Beschäftigung von Wissenschaftler*innen mangelhafte Vereinbarkeit von Familie und Beruf im deutschen Wissenschaftssystem scheint hier eine zentrale Ursache zu sein. Der Tenure-Track mit seinen Vorteilen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verspricht deshalb, den Gender-Knick zu reduzieren.

Und noch einen Vorteil dürfte das Tenure-Track-Modell für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben: In vielen akademischen Disziplinen sind in der PostDoc-Phase mehrmonatige oder auch mehrjährige Aufenthalte an ausländischen Universitäten zentral. Doch für Wissenschaftler*innen mit zeitlich stark befristeten Beschäftigungsverhältnissen sind diese gerade dann schwer zu bewerkstelligen, wenn sie eine Familie haben. Ihre Möglichkeiten, die geforderten Aufenthalte an ausländischen Universitäten zu absolvieren, werden durch das Tenure-Track-Modell gestärkt. Denn Wissenschaftler*innen mit einer gesicherten Beschäftigung mit Entfristungsperspektive werden sich eher auf das „Abenteuer“ eines Auslandsaufenthalts mit Familie einlassen können, als Wissenschaftler*innen, die während des Auslandsaufenthalts noch nicht mal sicher sagen können, ob, wie und wo ihre Karriere danach weiter verlaufen kann. Aus Sicht der DVPW gilt: Wer es im deutschen Wissenschaftssystem mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ernst meint, der kommt um das Tenure-Track-Modell nicht herum.

Beschlossen von der Arbeitsgruppe WissZeitVG im Vorstand der DVPW am 16.01.2023.

 

Anhang – Vorschlag zur Reform des WissZeitVG

Der hohe Anteil an zeitlich befristeten Stellen an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen mindert nach Einschätzung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems, sie hinter die Innovationskraft deutscher Universitäten und Forschungseinrichtungen und sie erschwert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im deutschen Wissenschaftssystem. Der hohe Anteil befristeter Stellen wird durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) begünstigt, dessen Reform momentan diskutiert wird. Die DVPW setzt sich deshalb für eine umfassende Reform des WissZeitVG ein.

Erstens fordert die DVPW die Einführung von Mindestvertragslaufzeiten für nicht promovierte Mitarbeiter*innen bei etatisierten Stellen (sog. Haushalts- oder Landesstellen) und – sollte die Projektdauer ausreichend lang sein – auch bei Drittmittelstellen. So soll die Erstanstellung von Promovierenden eine zeitliche Dauer umfassen, welche der durchschnittlichen Promotionsdauer im jeweiligen Fach entspricht. In der Politikwissenschaft wären dies mindestens vier Jahre.

Zweitens sollen aus Sicht der DVPW Verträge im Rahmen von Drittmittelprojekten nicht auf die maximale Befristungsdauer angerechnet werden. Dies gilt sowohl für die bislang geltende maximale Beschäftigungsdauer von sechs Jahren bis zur Promotion als auch für Beschäftigungsverhältnisse in der Post-Doc-Phase.

Drittens dürfen nach Dafürhalten der DVPW die Gründe, die eine Befristung der Beschäftigung von Wissenschaftler*innen erlauben, keinesfalls ausgeweitet werden. Vielmehr sollte nochmals deutlicher werden, dass Daueraufgaben ausschließlich auf Dauerstellen erbracht werden können. Es muss mithin sichergestellt sein, dass beispielsweise Stellen im Bereich der Studiengangskoordination oder Stellen mit besonders hohem Lehrdeputat nicht (missbräuchlich) als Qualifikationsstellen befristet besetzt werden können.

Viertens fordert die DVPW das aktuelle Sonderbefristungsrecht für promovierte Beschäftigte abzuschaffen. Stattdessen schlägt die DVPW ein dynamisches Tenure-Track-Modell vor, das promovierten Beschäftigten, die auf etatisierten Stellen (sog. Haushalts- oder Landesstellen) beschäftigt sind, stets eine Entfristungsperspektive bietet. Vor der endgültigen Entfristung ist danach ein Befristungszeitraum von vier bis sechs Jahren vorgesehen, in dem die Stelleninhaber*innen ihr wissenschaftliches Profil in Forschung, Lehre und Selbstverwaltung schärfen können. Die Lehrbelastung sollte im Befristungszeitraum deshalb nicht mehr als 4 Semesterwochenstunden (SWS) betragen und auch die Verwaltungsaufgaben müssen derart begrenzt bleiben, dass erfolgreiches Forschen möglich bleibt. Am Ende des Befristungs-zeitraums wird dann im Rahmen eines formalisierten Evaluationsverfahrens über die Entfristung entschieden. Dies geschieht auf der Basis von bei Stellenantritt vereinbarten und an der Berufbarkeit auf Professuren orientierten Kriterien. Nach der Entfristung können die Aufgaben an die von Professor*innen angepasst werden. Die Lehrbelastung kann somit auf bis zu 9 Semesterwochenstunden steigen und auch eine vertiefte Mitarbeit in der akademischen Selbstverwaltung kann dann erwartet werden. Da bei der Entfristung Kriterien der Berufbarkeit auf Professuren angelegt werden und die Aufgaben nach der Entfristung an die von Professuren angelegt sind, bleibt das vorgeschlagene Tenure-Track-Modell dynamisch. Schließlich stellt es sicher, dass die Stelleninhaber*innen prinzipiell Chancen haben, sich erfolgreich auf Professuren zu bewerben, so dass die Stellen wieder frei werden und anderweitig besetzt werden können.

Die DVPW ist überzeugt, dass entsprechende Reformen nicht nur für die betreffenden Wissenschaftler*innen selbst erhebliche Vorteile mit sich bringen, sondern auch für das Wissenschaftssystem insgesamt von Vorteil sind:

Innovationskraft: Die geforderte Reform des WissZeitVG trägt dazu bei, die Innovationskraft deutscher Universitäten und Forschungseinrichtungen zu stärken. Denn innovative Forschung kann nur dann gut gedeihen, wenn Wissenschaftler*innen Arbeitsplatzsicherheit genießen. Prekär beschäftigte Wissenschaftler*innen haben einen geringeren Anreiz, sich auf innovative Forschung mit hohem Risiko einzulassen. Sie müssen vielmehr dazu neigen, Forschung zu betreiben, die schnelle Ergebnisse verspricht, aber eben deshalb oftmals nicht sehr innovativ sein kann. Durch die oben genannten Reformen, die auf mehr Arbeitsplatzsicherheit von Wissenschaftler*innen diesseits der Professur zielen, würde also die Innovationsfähigkeit deutscher Universitäten und Forschungseinrichtungen gestärkt.

Wettbewerbsfähigkeit: Die vorgeschlagene Reform des WissZeitVG würde auch die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Universitäten und Forschungseinrichtungen stärken. Denn für leistungsstarke Wissenschaftler*innen werden Karrieren im deutschen Wissenschaftssystem planbarer. Die Anreize sinken, eine Beschäftigung an ausländischen Universitäten mit mehr Arbeitsplatzsicherheit aufzunehmen. Die Chancen deutscher Universitäten und Forschungseinrichtungen, die besten Köpfe halten zu können, würden deutlich gestärkt. Dies kann ihrer Wettbewerbsfähigkeit nur gut tun.

Vereinbarkeit mit Familie: Die hier angedachten Reformen des WissZeitVG bringen zudem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit sich. Denn durch diese Reformen werden Karrieren im deutschen Wissenschaftssystem besser planbar. Dies hilft jungen Wissenschaftler*innen, die eine Familie gründen wollen. Denn sie müssen die Wettbewerbsnachteile gegenüber Wissenschaftler*innen ohne Familie weniger fürchten. Somit sind junge Wissenschaftler*innen weniger vor die Wahl zwischen einer Karriere im Wissenschaftssystem und der Gründung einer Familie gestellt werden, sondern können beides unter einen Hut bekommen.

Dazu auch die Stellungnahme des Vorstands zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), beschlossen vom Vorstand der DVPW am 08.07.2022, die auf der DVPW-Webseite verfügbar ist.