Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft
Frist: 31.05.2023

CfP - Femina Politica – Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft

Der Schutz der Würde des Menschen als Kern staatlichen Handelns und als Grundlage für das gesellschaftliche Zusammenleben hat in den vergangenen 75 Jahren zu zahlreichen verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Änderungen in der Bundesrepublik geführt. Wegweisend waren dabei insbesondere Regelungen zu geschlechter-politisch bedeutsamen Konflikten um Schwangerschaftsabbrüche und ihre ‚Werbung‘, um Fortpflanzungsmedizin, um das Tragen des Kopftuchs im Arbeitsleben oder um Gleichstellungsmaßnahmen bezogen auf Gender Pay Gap, Quotenregelungen und Elterngeld, um den Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung und um Anti-Diskriminierung auch im europäischen Kontext. Eine besondere Bedeutung nimmt Rechtsprechung zur Würde bei Fragen von Flucht, Asyl und Migration im Kontext des Rechts, „Rechte zu haben“ (Arendt) ein und nicht zuletzt bei Fragen der sozialen Grundsicherung.

Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit der gewandelten Bedeutung und Wirkkraft von Grundrechten in Abhängigkeit von geschlechtlichen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen, der gewachsenen Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Teil einer geschlechtergerechten Polity, sowie mit Blick auf die Maßnahmen zu ihrer politischen Sicherung. Angesichts aktueller rechtsautoritärer Entwicklungen ist das Grundgesetzjubiläum nicht zuletzt Anlass, nach möglichen Veränderungen der gesellschaftlichen Stellung des Rechts zu fragen.

  • Wie hat die Auslegung des Grundgesetzes Geschlechterverhältnisse geprägt, beeinflusst und Wandel behindert oder beflügelt? Lässt sich eine Bedeutungssteigerung der Grundrechte beobachten? Bedarf das Grundgesetz angesichts internationaler Rechtsentwicklungen neuer Anpassungen?
  • Wie haben sich politische Vorkehrungen für die Sicherung und Wirkkraft der Grundrechte unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Vielfalt, Differenz und Pluralität entwickelt und sich daraus resultierende Ungleichheitsverhältnisse verändert? Ist das Grundgesetz für ein postkategoriales Antidiskriminierungsrecht gerüstet oder braucht es ein neues Diskriminierungsverbot bezogen auf sexuelle Identität? Warum ist es nach wie vor schwierig, trotz Grundgesetz einfache Forderungen politisch oder gerichtlich durchzusetzen, also etwa das Recht auf nicht-sexistischen Sprachgebrauch im Behördenverkehr?
  • Die BVerfG-Urteile, besonders zum Abtreibungsparagraphen §218 oder zur Dritten Option, haben nicht nur die politische Kultur Deutschlands entscheidend mitgeprägt, sondern auch gesellschaftliche Ungleichheits-, Macht- und Geschlechterverhältnisse. Gibt es hier Tendenz zu geschlechtergerechten Urteilen, auch im Hinblick auf rechtsphilosophische Auslegungen in Zusammenhang mit einem geschlechterdifferenten Würdebegriff? Ist feministische Rechtskritik in das Räsonnement des BVerfG eingeflossen?
  • Mit dem Framing von Geschlecht als biologische und natürliche Kategorie versuchen vor allem rechtspopulistische Bewegungen und Parteien, zentrale Begriffe und Konzepte von Repräsentation, Partizipation und Identität mit neuen Bedeutungen zu versehen. Wie robust ist das Grundgesetz gegenüber fundamentalen Infragestellungen seiner Legitimität? Kann es im Ernstfall den Vorstellungen von einer natürlichen Geschlechterordnung und der damit einhergehenden Abwendung von demokratischen Geschlechterverhältnissen ausreichend Widerstand entgegensetzen?
  • Lässt sich vor dem Hintergrund sogenannter postfaktischer Zeitdiagnosen eine Schwächung des Rechts insgesamt beobachten? Wie ist die Zunahme rechtspopulistischer und rechtsradikaler Regierungen (wie beispielsweise in Italien und Israel) im Hinblick auf Rechtsstaatsentwicklungen weltweit einzuschätzen?
  • Die wachsende Bedeutung Sozialer Medien und zunehmende Cyberkriminalität werfen vielfache rechtliche, ethische und politische Fragen auf, etwa zur Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und den Persönlichkeitsrechten, zum Schutz sexueller Gewalt, Diskriminierung und Beleidigung, zum Datenschutz und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. In welcher Form werden diese Fragen in der politischen Öffentlichkeit sichtbar gemacht und Regelungen unter geschlechterdifferenten Aspekten zum Gegenstand öffentlicher und politischer Debatten? Wie und anhand welcher Diskurse werden insbesondere Urteile für mehr Geschlechtergerechtigkeit diskutiert?
  • Immer wieder werden mit Blick auf das Grundgesetz (Frauen-)Rechte (cf. §219a StGB) (strategisch) mobilisiert, zunehmend auch mit Unterstützung spezialisierter Organisationen. Wie sind aktuelle Entwicklungen einzuschätzen? Wie ist das Spannungsverhältnis zwischen individuellen und kollektiven Vorgehensweisen? Welche politischen Folgen haben die Urteile tatsächlich?

Abstracts und Kontakt

Der Schwerpunkt wird inhaltlich von Gesine Fuchs und Gabriele Wilde betreut. Wir bitten um ein- bis zweiseitige Abstracts bis zum 31. Mai 2023 an gesine.fuchs@hslu.ch und Gabriele.Wilde@uni-muenster.de. Die Femina Politica versteht sich als feministische Fachzeitschrift und fördert wissenschaftliche Arbeiten von Frauen in und außerhalb der Hochschule. Deshalb werden inhaltlich qualifizierte Abstracts von Frauen bevorzugt.

Abgabetermin der Beiträge

Die Schwerpunktverantwortlichen laden auf der Basis der eingereichten Abstracts bis zum 15. Juni 2023 zur Einreichung von Beiträgen ein. Der Abgabetermin für die fertigen, anonymisierten Beiträge im Umfang von 35.000 bis max. 40.000 Zeichen (inklusive Leerzeichen, Fußnoten und Literatur) ist der 15. September 2023. Die Angaben zu den Autor*innen dürfen ausschließlich auf dem Titelblatt erfolgen. Alle Manuskripte unterliegen einem Double Blind Peer-Review-Verfahren. Pro Beitrag gibt es ein externes Gutachten (Double Blind) und ein internes Gutachten durch ein Redaktionsmitglied aus dem Herausgeberinnenteam. Ggf. kann ein drittes Gutachten eingeholt werden. Die Rückmeldung der Gutachten erfolgt bis spätestens 15. November 2023. Die endgültige Entscheidung über die Veröffentlichung des Beitrags wird durch die Redaktion auf Basis der Gutachten getroffen. Der Abgabetermin für die Endfassung des Beitrags ist der 15. Januar 2024.