Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft
Arbeitskreis "Soziologie der internationalen Beziehungen"

Spurensuche: Zur Zukunft soziologischer Perspektiven in den Internationalen Beziehungen

Roundtable bei der 2. Offenen Sektionstagung der DVPW-Sektion „Internationale Politik“ am Freitag, 13. Juli 2007 in der Technischen Universität Darmstadt

 

Am 13. Juli 2007 veranstaltete der Arbeitskreis „Soziologie der internationalen Beziehungen“ auf der zweiten offenen Sektionstagung der Sektion Internationale Politik einen Roundtable zum Thema „Spurensuche: Zur Zukunft soziologischer Perspektiven in den IB“. Im Anschluss an die einleitenden Statements aus politologischer wie soziologischer Perspektive von Dr. Stephan Stetter (Uni Bielefeld), Prof. Dr. Klaus Schlichte (Universität Magdeburg / HU Berlin), Dr. Anja Weiß (LMU München), Prof. Dr. Andreas Nölke (Universität Frankfurt a.M.) und Dr. Anna Holzscheiter (FU Berlin) fand eine offene und lebhafte Diskussion statt.

 

Der Roundtable wollte zu einem intensivierten Diskurs darüber anregen, inwieweit soziologische Theorien die IB befruchten könnten und wie man dies systematisch betreiben könne. Stephan Stetter argumentierte mit Verweis auf Max Weber und Niklas Luhmann, dass die IB immer schon interdisziplinär gewesen seien. Allerdings sollte sich die IB systematischer mit drei Perspektiven der Soziologie auseinandersetzen: Erstens, mit Fragen nach der funktional differenzierten Gesellschaft, zweitens, mit Fragen nach der Selbstreflexion im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung und schließlich mit Fragen nach der Bearbeitung von Globalisierung. Klaus Schlichte schloss sich Stephan Stetter dahingehend an, dass der Verweis und die Bearbeitung von soziologischen Theorien eine durchlaufende Tradition sei, die die IB von Anfang an geprägt haben. Anstatt auf funktionale Differenzierung rekurrierte Schlichte jedoch lieber auf Theoretiker wie Ernst Bloch und seine Frage nach der „Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit“, da neben der Moderne auch die Geschichtlichkeit der Politik eine Rolle spiele. Aus einer soziologischen Perspektive näherte sich Anja Weiß der Frage nach der Soziologie der IB, indem sie sowohl die Soziologie wie auch die IB im methodologischen Nationalismus gefangen sah. Mit Anlehnung an Georg Simmels Soziologie des Raumes plädierte Weiß für die Notwendigkeit einer neuen Perspektive, die der Überwindung des methodologischen Nationalismus gerecht würde. Andreas Nölke betonte dagegen die Fruchtbarkeit von Theorien mittlerer Reichweite, etwa aus dem Feld der Organisationssoziologie oder der Wirtschaftssoziologie. Von diesen Theorien könne man lernen, wie Organisationen als Akteure konzipiert würden. Ferner könne man mit beiden Bindestrich-Soziologien Mikro- und Makroperspektiven zusammenbringen. Anna Holzscheiter brachte in ihrem Statement die Mikroperspektive noch stärker ein, die ihres Erachtens bisher vernachlässigt worden sei. Die IB sollten viel mehr auf Kommunikation und Sprache eingehen und sich über den Tellerrand mit der sprachlichen Konstitution von Macht auseinandersetzen. Mit Verweis auf Soziologie, Sozialpsychologie und Soziolinguistik verwies sie auch auf nicht zu vernachlässigende Forschungsfelder wie die Rolle von Institutionen oder Global Governance, die mit diesen Ansätzen untersucht werden könnten.

 

Nach den einleitenden Statements ließ der Moderator, Dr. Christoph Weller (Universität Duisburg-Essen) – neben Anna Holzscheiter und Stephan Stetter Sprecher des DVPW-AK „Soziologie der internationalen Beziehungen“ (SiB) – gleich das zahlreich anwesende Publikum zu Wort kommen. Dabei entwickelte sich eine angeregte Diskussion über Fragen nach der Art der Zusammenarbeit, nach der Rolle von Theorien mittlerer Reichweite und nach dem Mehrwert einer soziologischen Perspektive. Im Zuge letzterer fragte Frank Schimmelfennig kritisch, warum sich die IB gerade jetzt an der Soziologie orientieren sollte, durchlaufe die Soziologie doch gerade erst eine selbst ausgerufene Sinnkrise. Thomas Gehring argumentierte gar, dass das, was die IB forschten, auch von Soziologen untersucht werden könne. Oliver Kessler sah den Zusammenhang zwischen den beiden Disziplinen weniger als Rivalität denn als gemeinsame Unternehmung. Man solle sich nicht hinter Grenzen verstecken sondern trans-diziplinär arbeiten. Damit folgte er Antje Wiener, die ebenfalls für eine trans-disziplinäre Zusammenarbeit der IB und der Soziologie plädierte, welche mögliche Verkürzungen vermeiden sollte. Stephan Stetter plädierte in diesem Zusammenhang sogar für eine supra-disziplinäre Perspektive, die die Grenzen zwischen den Disziplinen bewusst ausblende. Bei der Diskussion um die inhaltlichen Gemeinsamkeiten argumentierte Klaus Schlichte, dass man sich stärker auf die politische Soziologie fokussieren solle und darüber hinaus Klassiker wie Norbert Elias, Max Weber und Pierre Bourdieu heranziehen solle im Gegensatz zu Anthony Giddens, den er nicht als Klassiker sehe. Mathias Albert verwies am Ende noch auf das Potential der Organisationssoziologie, um Prozesse in Internationalen Organisationen zu erklären. Anna Holzscheiter schließlich griff am Ende die Rede von der Sinnkrise der Soziologie nochmals auf und entwarf die Perspektive, dass auf jeden Fall ein weiterer Austausch mit der Soziologie erfolgen werde und die IB damit vielleicht sogar noch einen Beitrag zur Rettung der Soziologie leisten könnten. Auf jeden Fall, so betonte Christoph Weller in seinem Schlusswort, werde der AK Soziologie der internationalen Beziehungen ein Forum dafür bieten, Austausch, Kommunikation und gegenseitige Befruchtung zwischen Soziologie und IB zu intensivieren.

Ursula Mühle (Universität Bielefeld)