Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft
Arbeitskreis "Soziologie der internationalen Beziehungen"

Stand und Perspektiven konstruktivistischer Analysen internationaler Politik

Fünfte Arbeitstagung der DVPW-Ad-hoc-Gruppe "Ideelle Grundlagen außenpolitischen Handelns" (IGAPHA) im Rahmen der Sektionstagung "Internationale Politik" am 6. - 8. Oktober 2005 an der Universität Mannheim

 

Das Panel hat zum Ziel, die in der deutschsprachigen Disziplin der Internationalen Beziehungen geführte Debatte zum Stand konstruktivistischer Forschungen aus dem Sammelband von Gunther Hellmann/Klaus Dieter Wolf/Michael Zürn ("Die neuen Internationalen Beziehungen", Baden-Baden: Nomos 2003) aufzunehmen und aus der Perspektive neuerer konstruktivistischer Analysen der deutschsprachigen IB-Forschung kritisch zu beleuchten und auszuweiten. Eingangs wird sich Cornelia Ulbert in ihrem Beitrag einer Bestandsaufnahme konstruktivistischer Forschungen widmen, die sowohl die epistemologischen und ontologischen Ausgangsannahmen untersuchen wird, aber auch die bislang etwas weniger diskutierte Ebene der methodischen Herangehensweisen auf ihren "konstruktivistischen" Charakter hin überprüft. Der Beitrag von Christoph Weller wird an die ontologische und epistemologische Bestandsaufnahme konstruktivistischer Analysen des ersten Beitrags mit der Zielsetzung anknüpfen, aus der Perspektive eines "reflexiven Konstruktivismus" die erkenntnistheoretischen Schlussfolgerungen herauszuarbeiten, die sich für eine wissenschaftliche Analyse insbesondere von ideellen Erklärungsfaktoren ergeben. Das Papier von Matthias Ecker-Ehrhardt wiederum stellt ebenfalls eine spezifische Form ideeller Erklärungfaktoren, nämlich Sach- bzw. Kausalwissen, in den Mittelpunkt. Anhand der Ergebnisse einer empirischen Studie zur deutschen Debatte um die EU-Osterweiterung zeigt er auf, dass die Analyse von Sach- bzw. Kausalwissen auch in normativ aufgeladenen Kontexten bedeutsam ist. Gleichzeitig veranschaulicht er an dieser Studie, wie sich die im Beitrag von Cornelia Ulbert herausgearbeitete Vielfalt methodischer Herangehensweisen in konstruktivistischen Forschungsarbeiten mittels einer Diskursanalyse, die sowohl mit qualitativen als auch quantitativen Verfahren arbeitet, realisieren lässt.

Beiträge

Dr. Cornelia Ulbert (FU Berlin)
Konstruktivistische Analysen der internationalen Politik: Von den Höhen der Theorie in die methodischen Niederungen der Empirie
 
Dr. Christoph Weller (INEF, Universität Duisburg-Essen)
Theoretische und erkenntnistheoretische Konsequenzen konstruktivistischer Analysen internationaler Politik
 
Dr. Matthias Ecker-Ehrhardt (WZB, Berlin)
Warum Normen wichtig sind, aber nicht alles - zur Bedeutung von Sach- und Kausalwissen für eine konstruktivistische Analyse öffentlicher Debatten
 
Diskutant: Prof. Dr. Harald Müller (HSFK, Frankfurt)
 
Moderation: Dr. Andrea Liese (FU Berlin)

Abstracts

Cornelia Ulbert (FU Berlin):
Konstruktivistische Analysen der internationalen Politik: Von den Höhen der Theorie in die methodischen Niederungen der Empirie


Ausgehend vom Kern empirischer konstruktivistischer Studien, der in der Analyse der Rolle von Ideen und Normen, der intersubjektiven Konstruktion von Identitäten und Diskursen sowie der Dekonstruktion von Konzepten und vermeintlichen Wissensbeständen gesehen wird, arbeitet das Papier überblicksartig sowohl erkenntnistheoretische Grundlagen als auch ontologische Ausgangsannahmen konstruktivistischer Analysen der internationalen Beziehungen heraus. Auf epistemologischer und ontologischer Ebene sind deutliche Unterschiede zwischen konstruktivistischen und rationalistischen Ansätzen feststellbar. Begibt man sich jedoch von den "Höhen" der Meta-Theorie in die "Niederungen" der Methode, so lassen sich keine eindeutigen Zuordnungen etwa entlang der Dichotomisierung zwischen "positivistischen" und "post-positivistischen" (re- und dekonstruktiven) Methoden vornehmen, obwohl ein methodischer Schwerpunkt konstruktivistischer Analysen auf diskursanalytischen Verfahren (der unterschiedlichsten Provenienz) liegt. Das Papier argumentiert daher, dass entscheidend für die Kennzeichnung einer Analyse als "konstruktivistisch" nicht die gewählten Methoden sind, sondern die zu untersuchende Fragestellung und die Form der Schlussfolgerungen (Interpretation oder Erklärung), die aus den Erkenntnissen gezogen werden, die ihrerseits mittels unterschiedlicher Methoden erlangt wurden.

 

Christoph Weller (INEF, Universität Duisburg-Essen):
Theoretische und erkenntnistheoretische Konsequenzen konstruktivistischer Analysen internationaler Politik


Das Papier entwickelt anhand einer kritischen Beschreibung des konstruktivistischen Perspektivenwechsels in den Internationalen Beziehungen einen reflexiven Konstruktivismus. Dieser nimmt nicht nur eine ontologische Blickfelderweiterung auf relevante Gegenstände und Erklärungsfaktoren der internationalen Politik vor, sondern zieht auch die daraus resultierenden erkenntnistheoretischen Konsequenzen für die wissenschaftliche Analyse internationaler Politik. Normen, Ideen, Werte, Identitäten und Weltbilder nehmen nicht nur Einfluss auf Außen- und internationale Politik, sondern auch auf die wissenschaftliche Beschäftigung und Analyse, insbesondere dieser ideellen Erklärungsfaktoren. Um die Bedeutung der erkenntnistheoretischen Dimension konstruktivistischer Analysen der internationalen Politik herauszuarbeiten, werden anhand von drei Schritten der konstruktivistischen Blickfelderweiterung die damit einhergehenden ontologischen und epistemologischen Probleme herausgearbeitet. Vor diesem Hintergrund lassen sich dann die theoretischen Vorzüge und integrativen Möglichkeiten eines reflexiven Konstruktivismus abschließend verdeutlichen.

 

Matthias Ecker-Ehrhardt (WZB, Berlin):
Warum Normen wichtig sind, aber nicht alles - zur Bedeutung von Sach- und Kausalwissen für eine konstruktivistische Analyse öffentlicher Debatten


Das Papier widmet sich einer, zumindest in prominenten Teilen der konstruktivistischen Forschung unterschätzten Kategorie von Ideen, dem Sach- bzw. Kausalwissen. Auf ihrer Suche nach der Identität eines konstruktivistischen Forschungsprogramms, haben ihre wesent­lichen VertreterInnen soziale Normen fokussiert. Die Grenzen eines rationalistisch verkürzten Blicks von internationaler Politik treten so zwar prägnant zu Tage, ein umfassendes Verständnis ihres Gegenstandes haben KonstruktivistInnen damit gleichwohl verfehlt, so die Ausgangsthese des Beitrages. Anhand einer Analyse der deutschen Osterweiterungsdebatte wird gezeigt, dass selbst die moralisch aufgeladene Frage einer neuen deutschen Ostpolitik ab 1989 nicht ohne einen Konsens über die Effektivität einer Osterweiterung legitimiert werden konnte. Hierbei wurde, so zeigt sich, nicht nur tatsächlich über die Frage gestritten, inwieweit bestimmte Politiken überhaupt geeignet erscheinen einer normativ definierten "Verant­wortung" gegenüber anderen Gesellschaften tatsächlich effektiv nachzukommen. Eine quantitative Analyse von Argumenten lässt darüber hinaus den Schluss zu, dass gerade dieser Konflikt um die Geltung alternativen Sach- und Kausalwissens die sukzessive Verschiebung des deutschen Osterweiterungskonsenses von einem klaren "Ja" zur Erweiterung zu einem bedingten "Ja, aber." erklären kann. Methodisch-konzeptionell versucht der Beitrag somit auch zu belegen, dass persuasive Prozesse am ehesten durch eine Kombination qualitativer und quantitativer Verfahren der Textanalyse verstanden und belegt werden können. Er ist insofern auch als Kritik an der Praxis einschlägiger Diskursanalysen zu lesen, deren methodisch-konzeptionelles Instrumentarium weit hinter ihrem metatheoretischen Überbau zurückbleibt.