Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft
Arbeitskreis "Soziologie der internationalen Beziehungen"

Außenpolitische Weltbilder: Entstehung - Wandel - Ausprägungen - Wirkungen

Vierte Arbeitstagung der DVPW-Ad-hoc-Gruppe "Ideelle Grundlagen außenpolitischen Handelns" (IGAPHA) am 10./11. Dezember 2004 in Duisburg

Entstehung, Wandel, Ausprägungen und Wirkungen außenpolitischer Weltbilder stehen im Mittelpunkt dieser vierten Arbeitstagung, die die DVPW-Ad-hoc-Gruppe Ideelle Grundlagen außenpolitischen Handelns (IGAPHA) in Kooperation mit dem Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen am 10./11. Dezember 2004 in Duisburg veranstaltet. Folgende Fragen sollen in den Vorträgen thematisiert werden:

  • Welche Weltbilder dominieren aktuelle außenpolitische Strategien in verschiedenen Ländern?
  • Worin unterscheiden sich außenpolitische Weltbilder in unterschiedlichen Ländern?
  • Vor welchem Hintergrund sind unterschiedliche außenpolitische Weltbilder entstanden?
  • Was führt zum Wandel außenpolitischer Weltbilder?
  • Welche politischen Wirkungen sind mit außenpolitischen Weltbildern verbunden?

Außenpolitische Entscheidungen setzen ein konkretes Bild der internationalen Welt bei den handelnden Akteuren voraus. Diese außenpolitischen Weltbilder sind nahezu ständig im Wandel begriffen, sie differieren sowohl zwischen Staaten als auch innerhalb von Staaten oder gar Administrationen. Ihre Analyse ist ein wichtiges Element zum Verständnis staatlicher Außenpolitik.

Internationale Spannungen, Kooperationsprobleme oder Meinungsverschiedenheiten haben ihre Ursache nicht selten in differierenden außenpolitischen Weltbildern. Den transatlantischen Verstimmungen im Kontext des Irak-Krieges, den europäischen Schwierigkeiten, zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu kommen, oder den Maßnahmen aktueller Krisenpolitik wie beispielsweise gegenüber dem Sudan, liegen nicht nur verschiedene außenpolitische Strategien und Interessen zugrunde, sondern auch unterschiedliche Einschätzungen und Perzeptionen der Welt der internationalen Beziehungen und der eigenen Rolle in dieser Welt bzw. in diesem Bild der Welt. Außenpolitische Entscheidungen werden auf der Grundlage solcher Weltbilder getroffen und gerechtfertigt und wirken zugleich auf den Wandel solcher Weltbilder zurück. Für ein Verständnis der internationalen Politik, ihrer Kooperationsmöglichkeiten (Global Governance) und Konfliktpotenziale ist folglich auch die intensive Betrachtung außenpolitischer Weltbilder, insbesondere ihres Wandels und ihrer Wirkungen, erforderlich.

Programm und Tagungsbericht der Vierten IGAPHA-Arbeitstagung in Kooperation mit dem Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen am 10. - 11. Dezember 2004 in Duisburg

Leitung: Dr. Jochen Hippler, Dr. Christoph Weller (INEF, Universität Duisburg-Essen)
 
Panel 1: Der Wandel von Weltbildern (Freitag, 10.12.2004, 15-17:30 Uhr)
 
Dr. Christoph Weller
Einführung: Außenpolitische Weltbilder: Entstehung - Wandel - Ausprägungen - Wirkungen
 
Dr. habil. Christian Wagner
Indien: Die Idee von Großmacht
 
Dr. Catherine Götze
Guerriers de la paix: Zum Wandel der ideellen Grundlagen französischer Außenpolitik
 
Panel 2: Die Wirkung von Weltbildern (Freitag, 10.12.2004, 18-20 Uhr)
 
Dr. Matthias Ecker-Ehrhardt
Zu Wandel und Wirkung alternativer Weltsichten, oder: Warum die argumentative Integration von Kritik in den deutschen Osterweiterungskonsens gelang
 
Anja Hennig
Polens 'romantischer Realismus' und seine Bedeutung für die Kontinuität in der polnischen Ukrainepolitik nach 1989
 
Panel 3: Die Diffusion von Weltbildern (Samstag, 11.12.2004, 9-11 Uhr)
 
Christian Büger
Aufstieg und Fall eines verwissenschaftlichten Weltbildes: Die Theorie des Demokratischen Friedens als Rahmen der US-Außenpolitik
 
Holger Stritzel
Understanding the International Diffusion of Threat Images: The Case of International Organized Crime in Germany
 
Panel 4: Weltbilder US-amerikanischer Außenpolitik (Samstag, 11.12.2004, 11:30-14 Uhr)
 
Dr. Jens Steffek
Embedded Liberalism and the American Ethos
 
Jan Meine
Der außenpolitische Diskurs der USA in den 1990er Jahren. 'Conversational Politics' als Beschreibungsmethode zur Isolierung von Konstruktionen politischer Wirklichkeiten und Ideen
 
Dr. Jochen Hippler
Weltbilder-Forschung: Einsichten, Fragen, Desiderate

Tagungsbericht (von Dr. Catherine Götze)

Was sind Weltbilder? Welche Bedeutung haben sie für Außenpolitik und welche Bedeutung haben sie für die Analyse von Außenpolitik? Wie entstehen sie, wie und warum wandeln sie sich? Das waren die kurzen, aber um so komplizierteren Fragen, mit denen Christoph Weller die Vierte Arbeitstagung der DVPW Ad-hoc-Gruppe „Ideelle Grundlagen außenpolitischen Handelns“ einleitete. Weltbilder, so seine Beobachtung, würden die Forschung in den Internationalen Beziehungen nur dann und insoweit interessieren, wenn die „klassischen“ Erklärungen für außenpolitisches Handeln, Macht und Interesse, nicht mehr ausreichend seien. Weltbilder seien dann relevant, wenn außenpolitische Handlungen von der „Normalität“ abwichen, denn nur dann würde uns überhaupt auffallen, dass „da etwas sei“, das außerhalb von Interesse und Macht die Außenpolitik eines Landes bestimme.

 


Tatsächlich beschäftigten sich alle Beiträge zu der Tagung mit außenpolitischen Phänomenen, die kontraintuitiv zu den gängigen IB-Annahmen waren (siehe Tagungsprogramm). Unabhängig von ihren ganz verschiedenen empirischen Untersuchungsgegenständen formulierten die Vortragenden immer wieder ihre Unzufriedenheit mit rationalistischen oder liberalen Modellen der Politikanalyse als Ursache ihrer Hinwendung zu „ideationalen“ oder, im weiteren Sinne, sozialkonstruktivistischen Ansätzen.

 


Der Frage, wie Weltbilder im sozialkonstruktivistischen Sinne analysiert werden könnten, widmeten sich alle Tagungsteilnehmer, und hierin ist der größte Ertrag der Tagung zu sehen. Es bestand große Einigkeit darin, dass die bei vielen sozialkonstruktivistischen Analysen typische Text- und Diskursanalyse durch soziologische und politologische Akteursanalysen ergänzt werden müsste. Die Träger der Weltbilder, deren Sozialisationskontext und institutioneller Handlungsrahmen müssten ebenso analysiert werden wie die Texte, in denen die Weltbilder niedergeschrieben oder die Reden, in denen sie verlautbart werden. Der diskursive Wandel von Weltbildern und die Prozesshaftigkeit ihrer Entstehung hatten in allen Analysen eine zentrale Stellung inne. Weltbilder, so die häufige Schlussfolgerung, reisten, wanderten von einer Trägergruppe zur anderen, entweder aufgrund exogener Veränderungen wie dem Ende der Ost-West-Konfliktstruktur im internationalen System oder aufgrund internen Politikwandels wie dem Regimewechsel in Polen.

 


Die „Checkliste“ der Forschung über Wissen und die Wege, wie dieses für Akteure relevant werde, die Christian Büger in seinem Vortrag in Erinnerung rief, spielten bei allen Vorträgen eine implizite Rolle: Weltbilder seien dann von Bedeutung, wenn sie intersubjektiv anschlussfähig seien, wenn sie für die Akteure konkret nutzbar gemacht werden könnten, wenn ihr „Produktionsort“ für das Policyfeld Autorität und Legitimität besitze, wenn es zu außergewöhnlichen Situationen komme, an die sich die Akteure anpassen müssten, und schließlich wenn sie über die konkrete Debatte hinaus auf einen breiten Zuhörer- und Reproduzentenkreis zurückgreifen könnten.

 


Wie genau diese Reisen vonstatten gingen, wurde von Fall zu Fall verschieden erläutert, doch zumeist wurde von zwei Annahmen ausgegangen: zum einen wanderten Weltbilder zwischen Akteursgruppen, die in einem institutionalisierten oder anderweitig kulturell gemeinsam geteilten Zusammenhang zueinander stünden (z.B. Expertengruppen verschiedener Länder; „Eliten“; Wissenschaftler & Politik; Personen gleicher formaler Ausbildung); zum anderen wanderten Weltbilder bzw. wandelten sich in prozesshafter Weise durch ein Wechselspiel zwischen den Trägern der außenpolitischen Weltbilder und deren Wahrnehmung von medial vermittelter Öffentlichkeit und durch Meinungsumfragen veröffentlichter Bevölkerungsmeinung. Hier fänden Anpassungsprozesse statt, die dazu führten, dass ganze Weltbilder oder Elemente dieser sich veränderten, abhanden kämen oder ergänzt würden.

 


Weltbildern wurde hierüber und über weitere Funktionen von allen Referenten eine stabilisierende und einigende Wirkung auf die referierten Akteursgruppen zugeschrieben. Sie schränkten Handlungsalternativen ein und eröffneten somit gleichzeitig konkrete Handlungsmöglichkeiten, da sie Auswege aus Politikproblemen aufzeigten, mithin eine „Politik der Hoffnung“ ermöglichten wie Jan Meine unterstrich. Mit diesem für die IB ungewohnten Konzept verwies der Referent auf die Zeitdimension der Sprache in der Politik, über die Erwartungen auf spezifische Formen der Problemlösung geschaffen würden, die sich wiederum rhetorisch analysieren ließen. Er unterschied die Hoffnung von anderen rhetorischen Figuren wie der des Kalküls oder der der Angst und wies damit einen Weg, das Vokabular, in das Welt“beschreibungen“ gefasst würden, differenziert und in Bezug auf unterschiedliche affektive und rationale Assoziationen hin zu untersuchen. Ein solches „Finetuning“ könnte Akzentverschiebungen der Welt“beschreibungen“ und somit tendenziellen und subtilen Wandel erfassen.

 


Die Verwendung des Begriffs der Weltbeschreibung verweist auf die Uneinigkeit, die während der Tagung bezüglich des Begriffs der „Weltbilder“ herrschte. Die meisten Referenten lehnten den Begriff des Weltbildes ab, ohne dass es der Tagungsgruppe gelungen wäre, einen alternativen Begriff in einheitlicher Weise zu verwenden. Die Ablehnung des Begriffs wurde zumeist mit seiner Unschärfe und seiner doppelten semantischen Bindung (Welt; Bild) begründet. Beides schränke seine Verwendung zu sehr ein, im Gegensatz zu Begriffen wie der von Matthias Ecker-Ehrhardt verwendete des „Paradigma“, der das Apodiktische einer Wahrnehmung und Interpretationsform von Ereignissen hervorhob, oder eben der von Jan Meine vorgeschlagene Begriff der „Weltbeschreibung“, der es erlaube, die sprachliche Konstruktion der Wahrnehmung, ihr Vokabular, zu erfassen.

 


Diejenigen, die den Begriff des „Weltbildes“ verwandten, taten dies in unterschiedlicher Deutung, sodass er einmal bei Catherine Götze als ein kognitiv hoch abstrakt angesiedeltes Schema der Wahrnehmung im Sinne von Erving Goffmans „primary frames“ interpretiert wurde, und ein anderes Mal bei Christian Büger dagegen als die konkrete, dokumentarische, photo-ähnliche Reproduktion eines Weltausschnittes mit direkter Handlungsanleitung auf einem sehr viel geringeren Abstraktionsniveau angesiedelt wurde.

 


Insgesamt wurde eine Vielzahl von Begriffen verwendet (eine unsystematische Zählung ergab 30 verschiedene Begriffe), die sich zum einen darin unterschieden, auf welcher Ebene der kognitiven Wahrnehmung und sozialpsychologischen Identitätsbildung sie sich bezogen, und zum anderen in unterschiedlicher Weise auf das Verhältnis von Wahrnehmung und Handlung Bezug nahmen.
Die semantische Konfusion verleitete Jochen Hippler in seinem Schlusswort dazu, eine umfassende Inventur und Bewertung des der Analyse zur Verfügung stehenden Vokabulars zu fordern, um einen für die Außenpolitikanalyse geeigneten Begriffskanon erstellen zu können. Dieser müsse die Begriffe danach unterscheiden, auf welcher Abstraktionsebene der Wahrnehmung sie ansprächen, welches Maß an konkreter Handlungsanleitung sie vorgäben, ob sie überhaupt handlungsanleited oder doch eher sinnstiftend seien und auf wen genau sie sich bezögen. Auch müsste im Zuge dieser Begriffsklärung auf die dornige Frage, die während der Tagung mehrmals angesprochen, aber auf keinen Fall beantwortet wurde, nämlich nach der ontologischen Dimension des „Weltbilder“-Begriffs eingegangen werden.

 


Christoph Weller bestritt in seinem Schlusswort, dass es möglich sei, einen solchen präzisen Begriffskanon zu erarbeiten und plädierte für eine Fall-zu-Fall- Präzisierung, die, wenn möglich, drei Analysedimensionen folgen sollte. Auf der ersten Dimension sei zu fragen, wie scharf oder unscharf das „Weltbild“ die Realität abbilde (was die ontologische Frage somit mitlöste, aber auf jeden Fall die epistemologische Frage aufwerfe). Auf der zweiten Dimension müsse erforscht werden, wie sich individuelle Einstellungen und Wahrnehmung zu kollektiven Identitäten und außenpolitischen Kulturen verhielten. Und auf einer dritten Ebene sei schließlich der Frage nachzugehen, ob die untersuchten „Weltbilder“ sinnstiftend oder handlungsanleitend bzw. in welchem Maße sie jeweils das eine oder das andere seien. Diese im forschungspraktischen Sinne „pragmatische“ Herangehensweise fand die Zustimmung der meisten Tagungsteilnehmer, die soeben erst die Erfahrung gemacht hatten, dass eine noch so unterschiedliche Verwendung des Begriffs dem intersubjektiven Verständnis der Untersuchungsgegenstände keinen Abbruch getan hatte.