Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft
Politik und Geschichte

Wozu ein Arbeitskreis "Geschichte und Politik" in der DVPW?


Wer sich auf dem Buchmarkt nach Publikationen über Geschichtskontroversen umsieht, wird unweigerlich mit den Begriffen Geschichtspolitik, Erinnerungspolitik oder Vergangenheitspolitik konfrontiert. Unabhängig von den Bedeutungsdifferenzen haben diese Termini derzeit fraglos Konjunktur. Sie wurden im Gefolge des so genannten Historikerstreits in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre populär. Heute hat die mit ihnen markierte politikwissenschaftliche Perspektive die ältere von der Historiographie aufgeworfene Frage nach dem Geschichtsbewusstsein weitgehend abgelöst.

Teil dieser Entwicklung ist der Anfang 1997 gegründete Arbeitskreis mit seinen regelmäßigen Treffen, dem sich daraus entwickelnden Erfahrungsaustausch und die dadurch initiierten Publikationen. Neben dem praktischen Anliegen, der wissenschaftlichen Arbeit ein Forum zu bieten, zielt der Arbeitskreis zugleich auf den Öffentlichkeitsaspekt. Da Interpretationen von Geschichte schon immer zum politischen Geschäft gehörten, ist es notwendig, sie unter diesem Gesichtspunkt auch zu untersuchen und auf diese Weise im Rahmen des gesellschaftlichen Diskurses Stellung zu beziehen.

Was ist Geschichtspolitik?


Der Fokus, mit dem sich die Politikwissenschaft dem Thema zuwendet, ist keineswegs fest umrissen. Wie Michael Kohlstruck (2004) im Detail darlegt, gibt es zur Zeit keine uneingeschränkt anerkannte Definition. Dieser Sachverhalt hat zweifellos seinen Ursprung in der politisierten Atmosphäre des Historikerstreites, in der Christian Meier (1989) das Wort Geschichtspolitik öffentlichkeitswirksam verwendete. Ihm wie auch anderen ging es darum, die politische Bedeutung hervorzuheben, die mit der Diskussion geschichtswissenschaftlicher Fragen verknüpft war. Als Folge davon entwickelte sich ein Forschungsstrang, innerhalb dessen Geschichtspolitik als politisches Konzept begriffen wurde. Mit ihr erscheint das so etikettierte Handeln als negativ bewertete Instrumentalisierung von Geschichte (Donat 1991; weitere Literaturangaben siehe bei Kohlstruck 2004).

Alternativ dazu wird Geschichtspolitik als analytische Kategorie benutzt. Aus dieser Perspektive stellt sich der Bezug auf Vergangenheit dar als Element politischen Handelns allgemein. Für Peter Steinbach (1994) zielen die jeweiligen Akteure, seien es Institutionen, Lobbygruppen etc., auf die Legitimation eigener Forderungen oder Entscheidungen, indem sie dem Publikum historische Analogieschlüsse anbieten. Auf diese Weise wird politischen Opponenten Legitimität zu- oder aberkannt. Weiterführend ist dieser Ansatz bei Kohlstruck (2004) unter dem Terminus der Erinnerungspolitik ausgearbeitet. Er fokussiert das entsprechende politische Handeln auf Ziele und Funktionen. Die Thematisierung der Vergangenheit kann danach auf zwei Dimensionen erfolgen. Geschichte ist dementsprechend entweder Medium oder Instrument. Das erinnerungspolitische Handeln insgesamt zielt auf die Einwerbung von Legitimität. Nutzbar ist solches Vorgehen, insoweit es um kollektive Identitäten, politische Ordnungen oder politische Akteure geht.

Mit seinem Terminus der Vergangenheitspolitik zielt Norbert Frei (1996) auf die Institutionen, die an der Aufarbeitung von Diktaturerfahrung beteiligt sind. Auch wenn er sich auf den Umgang mit dem Nationalsozialismus beschränkt, ist sein Konzept verallgemeinerbar. In seinen Kernelementen berücksichtigt es den Polity- und Politics-Aspekt. Im Einzelnen geht es Frei um den strafrechtlichen Umgang mit den Tätern einer überwundenen Diktatur, die institutionellen Bemühungen, Täter und Mitläufer des alten Regimes in das neue System zu integrieren sowie die Ab- und Ausgrenzung der nicht belehrbaren Restgruppen, die sich einer Integration verweigern.

Edgar Wolfrum (1999) schließlich definiert den von ihm verwendeten Begriff der Geschichtspolitik als ein Handlungs- und Politikfeld, auf dem politische Akteure konkurrierender Deutungseliten Geschichte mit ihren spezifischen Interessen befrachten und politisch zu nutzen suchen. Vergangenheit werde instrumentalisiert, um Interessen besser durchsetzen zu können, eigene Anhänger zu mobilisieren, Gegner zu delegitimieren und um Gruppenidentitäten zu stiften.

Aus übergeordneter Sicht ist klar, dass die voranstehend präsentierten Forschungsansätze nur zum Teil miteinander kompatibel sind. Was diese Vielfalt angeht, ist es keineswegs das Ziel des Arbeitskreises, in Zukunft auf eine allgemeine Definition hinzuarbeiten oder bestimmte Forschungen ausschließen zu wollen. Präzisierungen oder eine Vereinheitlichung mag es in der Zukunft ja geben, zumal Petra Bock (1999: 84) auf der Basis ihrer Forschungen deutlich macht, dass es nicht sinnvoll sei, die Begriffe Geschichtspolitik und Vergangenheitspolitik streng voneinander getrennt halten zu wollen. In der Regel bedingten sich beide einander, die mit ihnen bezeichneten Phänomene träten gemeinsam auf. Deshalb sieht der Arbeitskreis sein Ziel darin, zu weiteren Forschungen anzuregen.

Literatur:

  • Bock, Petra, 1999: Vergangenheitspolitik in der Revolution 1989/90. In: dies. und Edgar Wolfrum (Hrsg.): Umkämpfte Vergangenheit. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 82-100.

  • Donat, Helmut, 1991: Vorbemerkung. Die Indienstnahme der Geschichte. In: A. Confino und Peter Fritzsche (Hrsg.): The work of memory: new directions in the study of German society and culture. Urbana: Univ. of Illinois, S. 1-21.

  • Frei, Norbert, 1996: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München: Beck. Kohlstruck, Michael, 2004: Erinnerungspolitik. Kollektive Identität, Neue Ordnung, Diskurshegemonie. In: Birgit Schwelling (Hrsg.): Politikwissenschaft als Kulturwissenschaft. Wiesbaden: VS, (im Druck).

  • Meier, Christian, 1989: Eröffnungsrede zur 36. Versammlung deutscher Historiker in Trier, 8. Oktober 1986. In: "Historikerstreit". Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München: Piper, S. 204-214.

  • Steinbach, Peter, 1994: Widerstand im Widerstreit. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Erinnerung der Deutschen. Paderborn: Schöningh.

  • Wolfrum, Edgar, 1999: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990. Darmstadt: WB.

Was hat der Arbeitskreis bislang geleistet?


Die Fruchtbarkeit des oben skizzierten Forschungsfeldes zeigt sich an den regelmäßigen Treffen des Arbeitskreises. Bei ihnen diskutierten wir Rollen und Interessen geschichtspolitischer Akteure sowie ihre Wirkung auf die von ihnen anvisierten Rezipienten. Wir beleuchteten auch die Funktion der Medien im öffentlichen Diskurs über Vergangenheit. Weiterhin kam der Umgang mit gesellschaftlichen Brüchen, sei es 1945, sei es 1989, zur Sprache. Dabei ging es sowohl um die Frage des Neuanfangs wie um die Kontinuität bestehender Traditionen. Schließlich greifen wir in unregelmäßiger Folge auch methodische Aspekte unserer wissenschaftlichen Arbeit auf. Bei diesen Themen wie etwa dem historischen Vergleich geht es um die Reflexion darüber, wie die Wahl eines bestimmten Forschungsinstrumentes sowohl das Ergebnis wie auch den Diskurs über die Vergangenheit beeinflussen kann.

Einzelne Arbeitsergebnisse der Tätigkeit des AK sind mittlerweile in mehreren Publikationen dokumentiert.

Unsere künftige Arbeit soll das Feld "Geschichte und Politik" stärker unter einer international vergleichenden Perspektive betrachten. Neben der politischen Thematisierung der Vergangenheit beabsichtigen wir "Utopiepolitiken" zu betrachten und der Frage nachzugehen, was es heißt, wenn sich aktuelle Politik damit legitimiert, "Geschichte zu machen".