Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Vielfältig und aus Überzeugung aktiv – Die Politikberatung deutscher Politikwissenschaftler*innen. Ein Beitrag von Jens Jungblut und Sonja Blum

Um die Relevanz der Politikwissenschaft dreht sich eine fortlaufende Debatte innerhalb der Disziplin. In einer neuen Studie stellen wir empirische Daten zur Politikberatungstätigkeit von Politikwissenschaftler*innen an deutschen Universitäten vor und zeigen, dass das Aktivitätsniveau höher ist, als es manche kritische Stimme vermuten ließe. Es zeigt sich ein vielfältiges Bild politikberatender Tätigkeiten; allgemeine Aktivität und Akzeptanz der Politikberatung erscheinen hoch. Politikberatung findet allerdings in eher akademischer Arbeit naher Form statt, z.B. über Publikationstätigkeiten. Gleichzeitig zeigt sich, dass „aktivere“ Kolleg*innen eher unbefristete Verträge haben sowie eher männlich sind.

Global Justice Now! Für eine Politisierung der Skalen. Ein Beitrag von Felix Anderl

Die Kategorie des „Globalen“ wird einerseits als Kur gegen Eurozentrismus ins Feld geführt, andererseits wird genau jener „globale“ Anspruch als potenziell imperialistisch bewertet. In diesem Beitrag argumentiert Felix Anderl, dass für soziale Bewegungen und deren Theoretisierung weder das kosmopolitische Abfeiern des Globalen noch seine pauschale Kritik angemessen sind, da „das Globale“ unterschiedlich mobilisiert werden kann. „Lokal“ und „global“ sind sich gegenseitig bedingende Konstrukte, mit denen verschiedene Akteur*innen ihre jeweilige Agenda legitimieren. Deshalb betont der Beitrag die politische Dimension von Scales oder „Maßstabsebenen“.

„Lokale“ Zivilgesellschaften und ihre Akteur*innen - was steckt in dieser räumlichen Zuschreibung? Ein Beitrag von Anne Menzel

In der Forschung zu Peacebuilding-Interventionen und sogenannter Entwicklungszusammenarbeit sind wir es gewohnt, von „lokalen“ Akteur*innen zu schreiben und über sie zu lesen. Aber was genau steckt eigentlich in dieser räumlichen Zuschreibung? Diese Frage ist umso interessanter, als kritische Analysen längst aufgezeigt haben, dass die Verortung als „lokal“ wenig dazu beiträgt, bestimmte Akteur*innen aussagekräftig zu charakterisieren. Dennoch wird an ihr festgehalten, weil sie praktisch und oft nahezu alternativlos erscheint. Allerdings bleibt diese räumliche Zuschreibung nicht ohne Konsequenzen. Ohne dass Autor*innen es notwendigerweise bewusst wollen oder entscheiden, impliziert die Verortung als „lokal“, dass es um „andersartige“ Akteur*innen im Globalen Süden geht, deren Eigenschaften und Probleme sich zudem grundlegend von denen im Globalen Norden unterscheiden.

Die politics of scale im Peace- und Statebuilding – Was wir aus den Interventionen in Sierra Leone und Bougainville lernen können. Ein Beitrag von Patricia Rinck

Dieser Beitrag geht der Frage nach, welchen Nutzen das politics of scale-Konzept für die Interventionsforschung haben könnte. Im Rahmen internationaler Interventionen greifen externe Akteur*innen in einen Konfliktkontext ein, trennen kämpfende Seiten voneinander, bringen sie an den Verhandlungstisch und stoßen umfassendere Transformationsprozesse an, die Peacebuilding, Statebuilding und Entwicklung zum Ziel haben. Für Intervenierende stellt sich dabei die Frage, welche Akteur*innen, Institutionen oder Strukturen sie im Land unterstützen sollen. Der Beitrag diskutiert anhand der Interventionen in Bougainville und Sierra Leone Beispiele für eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung internationaler Akteur*innen. Er zeigt auf, dass die Konstruktion bestimmter Maßstabsebenen (scales) als Ort einer Intervention wichtige Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Intervention sowie den Post-Konflikt-Transformationsprozess insgesamt haben kann.

Über Staaten, Container und die politische Einhegung globaler Infrastrukturmacht. Ein Beitrag von Jutta Bakonyi

Debatten um empirisch unterscheidbare Staatsformen, staatliche Schwäche und Fragilität transportieren politische Raum- und skalare Ordnungsvorstellungen, die nur selten thematisiert werden. Der folgende Beitrag diskutiert diese Vorstellungen am Beispiel der Mogadishu International Airport (MIA) Zone, eine militarisierte Enklave inmitten Mogadischus, von der aus internationale Staatenbildung betrieben wird. Er verdeutlicht erstens, dass sich politische Räume in täglichen, oft konflikthaften und widersprüchlichen Praktiken konstituieren. Zweitens zeigt er wie sich dominante, an den Staat gebundene Ordnungsvorstellungen an der weltweiten Ausdehnung und Verdichtung von Infrastrukturnetzwerken und Logistikoperationen brechen. Drittens verweist der Beitrag auf das Zukunftsmodell modularer Souveränität, die sich flexibel kapitalistischen Anforderungen nach Flexibilität, Bewegung und Innovation anpasst.

Raum und Ressourcen – Die politics of scale von Landrechtskonflikten. Ein Beitrag von Alina Brad, Riccarda Flemmer und Jonas Hein

Der Beitrag zeigt am Beispiel der Umsetzung des Klimaschutzprogramms REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) und der Ausweitung des agroindustriellen Ölpalmenanbaus in Indonesien, wie räumliche Restrukturierung die Landrechte lokaler Bevölkerungsgruppen einschränken können. Zeitgleich ermöglicht die Entstehung neuer transnationaler Verhandlungs- und Bedeutungsebenen insbesondere indigenen Gruppen,Widerstand gegenüber Landnahmen durch die Agroindustrie zu leisten, indem sie lokale und nationale scales (scale jumping) überspringen und sich auf Regeln transnationaler Zertifizierungssysteme wie dem Roundtable for Sustainable Palmoil (RSPO) beziehen. Allerdings ist die agency der Akteur*innen von deren Wissen um Maßstäbe und ihre Bedeutungen abhängig und das emanzipatorische Potential von Maßstabswechseln muss im Kontext von Forderungen der Dekolonisierung von Ressourcenpolitik gesehen werden.

Die “Politics of Scale” in der deutschsprachigen Politikwissenschaft: Warum sich eine breitere Diskussion des Konzepts lohnt. Ein Beitrag von André Bank, Riccarda Flemmer, Regina Heller, Maren Hofius, Hanna Pfeifer und Jan Wilkens

In der deutschen Politikwissenschaft werden geografische Begriffe oft noch nicht ausreichend kritisch reflektiert. Die zumeist geografisch ausgerichteten subdisziplinären Unterteilungen setzen der Erklärung komplexer und Ebenen-übergreifender, politischer Strukturen und Verflechtungen Grenzen. Zudem zementieren sie die Vorstellung einer quasi-natürlichen Hierarchie. Das der Humangeografie entlehnte Konzept der politics of scale eignet sich für eine Problematisierung von Raumkonstruktionen. Denn es betont die Konstruiertheit von Raum, und die Produktion unterschiedlicher Maßstabsebenen als Ergebnis sozialer Konflikte, ohne dabei a priori zu hierarchisieren. Es erlaubt zudem die Analyse der machtpolitischen Effekte bestimmter Skalierungen. Es kann somit sowohl politikwissenschaftliche Analysen verfeinern als auch die Sprechfähigkeit zwischen den Subdisziplinen verbessern – und schließlich neue Impulse für eine kritische Reflexion des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik geben.

Bundestagswahl 2021: Warum der Wettkampf um den Parteivorsitz die Wahlchancen der CDU beeinträchtigt hat. Ein Beitrag von Jan Berz

Auf ihrem 33. Parteitag hat die CDU Armin Laschet zum neuen Vorsitzenden gewählt. Doch welche Auswirkungen wird der Wettkampf um die innerparteiliche Führungsfrage auf die Wahrnehmung der Partei und auf das Wahlergebnis der CDU bei der kommenden Bundestagswahl am 26. September haben? Während das Profil von Parteivorsitzenden für das Wahlverhalten der Wähler*innen von zunehmender Bedeutung ist, zeigen neuste Studien, dass der öffentliche Wettstreit um den Parteivorsitz in Regierungsparteien wie der CDU zu sinkenden Stimmenanteilen bei der nächsten Parlamentswahl führt.

Die deutsche Ratspräsidentschaft 2020: Wie eine ‚Rolle‘ den Handlungsrahmen verändert. Ein Beitrag von Anja Thomas

Deutschland hatte von 1. Juli bis zum 31. Dezember 2020 die EU-Ratspräsidentschaft inne. Das Treffen des Europäischen Rates am 10. Dezember 2020 hat eine Einigung gebracht, die in den Augen vieler Beobachter einen symbolisch weitreichenden Schritt für die europäische Integration darstellt: Die 27 Staats- und Regierungschef*innen haben sich unter anderem auf die Aufnahme gemeinsamer Schulden geeinigt, um einen europäischen Fonds zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise in den Mitgliedstaaten aufzulegen. Ein solches Instrument wurde bereits im März durch einen Brief von neun Mitgliedsregierungen unter der Führung Frankreichs und Italiens unter dem Stichwort „Coronabonds“ gefordert. Während sich Deutschland in der Eurozonenkrise strikt gegen Formen der kollektiven Schuldenfinanzierung gesperrt hat, hat es schon im Mai zusammen mit Frankreich eine Initiative vorgelegt, die solche Instrumente vorsieht. Wie bestimmte die Übernahme des Vorsitzes im Rat der EU im zweiten Halbjahr 2020 diesen in Europa weithin beachteten „Sinneswandel“ der deutschen Bundesregierung?

Stabile Jugend, der man nicht traut: Politisches Interesse und Wählen mit 16. Ein Beitrag von Thorsten Faas und Arndt Leininger

Die Reform des Bundestagswahlrechts, auf die sich die Große Koalition im August dieses Jahres einigen konnte, wird gemeinhin nicht als großer Wurf gesehen. Im Fahrwasser der eigentlichen Reform aber wurde eine Kommission aus Politiker*innen und Wissenschaftlicher*innen auf den Weg gebracht, die sich mit weitreichenden Fragen rund um das Wahlrecht befassen soll – u.a. mit einer möglichen Absenkung des Wahlalters für Bundestagswahlen. Es mag überraschen, aber wir verfügen tatsächlich über nur wenige empirische Erkenntnisse über Chancen und Risiken eines abgesenkten Wahlalters. Stimmt es etwa, dass junge Menschen sich weniger, ja vielleicht sogar zu wenig für Politik interessieren, wie Skeptiker*innen gerne vermuten? Und falls das stimmt: Ist ihr Interesse geringer, weil sie nicht wählen dürfen? Warum sollte man sich für etwas interessieren, an dem man ohnehin nicht teilnehmen darf – was Befürworter*innen gerne als Argument einbringen? Dieser Beitrag präsentiert die Ergebnisse der Jugendwahlstudie zu den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 1. September 2019.