Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Zustimmung zur harten Linie. Was die EU-27 Bürger über die Brexit-Verhandlungen denken

Die ungewöhnlich hohe Einigkeit der EU-27 Mitgliedstaaten in den Brexit-Verhandlungen hat auf britischer Seite zu Überraschung und Frustration geführt. Warum fährt die EU in den Brexit Verhandlungen so eine harte Linie? Diese Verhandlungsstrategie überrascht auf den ersten Blick, steht doch für die EU viel auf dem Spiel. Die Verbindungen zwischen dem UK und den verbleibenden EU-27 Mitgliedstaaten sind eng, sodass ein harter Brexit zu großen Verwerfungen nicht nur auf der Insel, sondern auch auf dem Kontinent führen wird. Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Kosten eines harten Brexit auf etwa 2,6 % des EU-27 Bruttoinlandsprodukts belaufen und diese Kosten würden wohl bei einem Scheitern der Verhandlungen noch höher ausfallen.

Allerdings gibt es gewichtige Gründe, die für eine harte Verhandlungsführung der EU sprechen. Zum einen ist die Verhandlungslage bei den Brexit-Verhandlungen asymmetrisch: Auch wenn die EU-27 durch einen harten, oder sogar einen No-Deal-Brexit viel zu verlieren haben, wären dessen Auswirkungen für das Vereinigte Königreich mit geschätzten Kosten von 12,2 % des britischen BIP doch ungleich höher. Dies gibt der EU eine höhere Verhandlungsmacht, da das Vereinigte Königreich bei einem Scheitern der Verhandlungen mehr zu verlieren hat. Da es bei den Brexit-Verhandlungen für die EU vor allem um Schadensbegrenzung geht, spielt sie diesen Trumpf so gut wie möglich aus.

Ein zweiter Grund für die harte Haltung der EU ist die Befürchtung, dass ein für die Briten vorteilhafter Brexit auch andere Mitgliedstaaten ermutigen würde, die EU zu verlassen. Die EU besteht darauf, dass ein Land nicht die Vorteile der EU-Integration nutzen kann, ohne sich auch an die gemeinsamen Regeln der EU zu halten. Grundlage für eine erfolgreiche internationale Zusammenarbeit ist die Bereitschaft, Kompromisse zu schließen, und sich dann auch an jene Teile des Kompromisses zu halten, die den eigenen Präferenzen weniger entsprechen. Wenn der Brexit signalisiert, dass ein solches Verhalten nicht länger nötig ist, um von den Vorteilen dieser Zusammenarbeit zu profitieren, riskiert das langfristig die Stabilität der EU. Daher versucht die EU, den Austritt eines Mitgliedslandes so unattraktiv wie möglich zu gestalten, und verfolgt eine harte Haltung in den Brexit-Verhandlungen.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die harte Verhandlungsstrategie der EU in den verbleibenden Mitgliedsstaaten große Zustimmung findet – und zwar nicht nur bei den Regierungen der EU-27, die die Verhandlungsrichtlinien der EU festgelegt haben, sondern auch bei weiten Teilen der Bevölkerung. Ich führe seit Beginn der Brexit-Verhandlungen im Sommer 2017 halbjährlich online-Umfragen von jeweils etwa 9.000 EU-27 Bürger*innen im erwerbsfähigen Alter durch. Abbildung 1 zeigt, dass fast die Hälfte aller Befragten eine etwas oder sehr harte Verhandlungsstrategie der EU-Kommission unterstützt, und dass dieser Anteil über die letzten zwei Jahre sehr stabil geblieben ist.

Bevorzugte EU-Verhandlungsposition, Juli 2017 bis Dezember 2018

Im Dezember 2018 war für die EU-27 Bürger*innen in Brexit-Verhandlungen das wichtigste Ziel, die Handelsbeziehungen ihres jeweiligen Landes zum Vereinigten Königreich aufrechtzuerhalten (siehe Tabelle 1). Pro-europäisch eingestellten Bürger*innen war es dagegen am wichtigsten, zu vermeiden, dass in Zukunft weitere Staaten aus der EU austreten. Und die Euroskeptiker*innen zeigten sich in der Tat bestrebt, Brexit zu nutzen, um es weiteren EU-Ländern in der Zukunft zu erleichtern, die EU zu verlassen.

Anteil derjenigen, die das jeweilige Ziel als wichtigstes Ziel für die Brexit-Verhandlungen nennen (Dezember 2018)

Meine Analysen zeigen zudem, dass die EU-27-Bürger*innen die Trade-Offs in den Brexit-Verhandlungen gut verstehen und ihre Präferenzen bei den Verhandlungen entsprechend gestalten. Je stärker sie von den negativen wirtschaftlichen Auswirkungen eines harten Brexit betroffen wären, desto eher zeigen sie sich kompromissbereit. Je besser sie die EU finden, desto eher unterstützen sie eine harte Linie, wobei eine wirtschaftliche Betroffenheit diesen Effekt abschwächt. Insgesamt zeichnen meine Analysen ein Bild der EU-27-Bevölkerung, welche die Brexit-Risiken einordnen kann und auf dieser Basis recht unsentimental eine Verhandlungslinie unterstützt, welche ihren jeweiligen eigenen Interessen am besten schützt.