Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Wirtschaftlich links, kulturell rechts und politisch abgehängt? Die Auswirkungen der linksautoritären Angebotslücke

Der politische Wettbewerb in Westeuropa und darüber hinaus wird häufig mit den Begriffen rechts und links umschrieben. Die zeitgenössische Forschung ist sich darin einig, dass man – um den politischen Wettbewerb heutzutage adäquat zu erfassen – zwischen wirtschaftlichen und soziokulturellen Fragen unterscheiden muss. Empirisch zeigt sich, dass viele westeuropäische Bürger in wirtschaftlichen Fragen eher linke Positionen und in soziokulturellen Fragen eher rechte bzw. autoritäre Positionen aufweisen. Von politischen Parteien wird eine solche linksautoritäre Position aber kaum vertreten. Wir haben uns in unserer Forschung mit den Auswirkungen dieser linksautoritären Angebotslücke auf die betroffenen Bürger beschäftigt. Wir wollten herausfinden, ob sich linksautoritär eingestellte Bürger seltener an Wahlen beteiligen, weniger Vertrauen in die politischen Institutionen und Akteure haben und unzufriedener mit dem demokratischen Prozess sind.


Die linksautoritäre Angebotslücke

Wie angedeutet, unterscheiden Politikwissenschaftler heutzutage in der Regel zwei Konfliktdimensionen, um die politischen Einstellungen von Bürgern und die Positionen von Parteien westeuropäischer Länder zu analysieren: eine wirtschaftspolitische Dimension über die Reichweite staatlicher Eingriffe in den ökonomischen Prozess und eine gesellschaftspolitische Dimension über den Umfang kultureller Diversität und individueller Freiheiten. Wendet man diese Vorstellung eines zweidimensionalen Politikraums auf westeuropäische Länder an, finden sich dort in allen vier Quadranten Bürger. Insbesondere gibt es überall nicht wenige Individuen, die einen starken wirtschaftlichen Interventionsstaat und Umverteilung befürworten, aber konservative Moralvorstellungen und kulturelle Konformität schätzen sowie Zuwanderung skeptisch sehen. Sie kombinieren wirtschaftlich linke mit soziokulturell autoritären Einstellungen. Wir bezeichnen diese Bürger deshalb als linksautoritär.

Gemeinsam ist den westeuropäischen Ländern ebenso, dass der linksautoritäre Quadrant des Politikraums traditionell kaum von Parteien besetzt wird. Abbildung 1 zeigt beispielhaft anhand einer Schätzung von Parteipositionen auf Basis einer Expertenumfrage, dass er im Jahr 2006 in 8 von 14 betrachteten westeuropäischen Ländern vollständig leer war. Diejenigen Parteien, die sich im linksautoritären Quadranten befinden, besetzen nicht viele Parlamentssitze und vertreten zumeist nicht auf beiden Dimensionen prononcierte Positionen.

Parteipositionen in Westeuropa in 2006

 
Folgen der linksautoritären Angebotslücke

Linksautoritäre Bürger sind demnach von einer Angebotslücke betroffen. Weil keine politische Partei ihre spezifische Einstellungskombination repräsentiert, ist zu erwarten, dass Linksautoritäre sich aus Unzufriedenheit mit dem politischen Angebot seltener an Wahlen beteiligen. Zudem könnte die Angebotslücke dazu führen, dass linksautoritäre Bürger der repräsentativen Demokratie sowie ihren Institutionen und Akteuren weniger abgewinnen als ihre Mitbürger.

Diese Erwartungen finden wir in unserer Forschung bestätigt. Wir haben Daten aus dem European Social Survey (ESS), einer europaweiten Bevölkerungsumfrage, zu 14 westeuropäischen Ländern ausgewertet. Abbildung 2 stellt die Ergebnisse unserer statistischen Analyse dar. Die Abbildung zeigt, wie sich die Position im zweidimensionalen Politikraum auf die Wahlbeteiligung und die Zufriedenheit mit der Politik auswirkt. Die abgebildeten Effekte sind in Relation zur Vergleichsgruppe der Bürger zu verstehen, die (auf mindestens einer der zwei Dimensionen) in der Mitte des Politikraums verortet sind. Linksautoritär eingestellte Bürger weisen demnach die geringste Wahrscheinlichkeit der Teilnahme an nationalen Wahlen auf. Zwischen Individuen mit einer der drei anderen Einstellungskombinationen und denen in der Mitte des politischen Raums finden sich hingegen keine nennenswerten Unterschiede. Ebenfalls, wie erwartet, sind Linksautoritäre nicht nur unzufriedener mit der Demokratie und vertrauen Politikern, Parteien und Parlamenten weniger als Bürger mit einer mittigen Position; ihre Einstellungen sind darüber hinaus negativer als die aller anderen Gruppen.

Effekte von Positionen in den Quadranten des Politikraums auf ...

Anzumerken ist, dass sich auch rechtsautoritär eingestellte Bürger unzufriedener zeigen als die in der Mitte. Entsprechend unserer Logik könnte das einerseits Folge einer generell schlechteren Repräsentation autoritärer Positionen sein. Radikal rechte Parteien, als ihre schärfsten Vertreter, sind zwar (mittlerweile) in vielen Parlamenten vertreten, jedoch häufig isoliert. Andererseits könnten autoritäre Politikeinstellungen das Resultat von autoritären Persönlichkeitsmerkmalen und Werten sein, die an sich eine negative Bewertung der Demokratie und ihrer Institutionen bedingen. Der Effekt der rechtsautoritären Einstellungskombination ist jedoch durchgängig schwächer als derjenige der linksautoritären. Diesen Unterschied zwischen Links- und Rechtsautoritären führen wir auf die linksautoritäre Angebotslücke zurück. In Abbildung 2 wird diese Interpretation durch den Befund zum Rechtssystem zusätzlich gestützt: Autoritäre haben weniger Vertrauen in diese nicht politische Institution als Liberale, es gibt aber keine Differenz zwischen Links- und Rechtsautoritären.

Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen wir in Analysen zur Bundestagswahl 2013 auf Basis der Nachwahlbefragung der deutschen Wahlstudie GLES: Eine Position im linksautoritären Quadranten des Politikraums mindert die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum angibt, gewählt zu haben um mehr als 5 Prozentpunkte. Mit dem Funktionieren der deutschen Demokratie sind Linksautoritäre mit einer geschätzten Wahrscheinlichkeit von 45 % zufrieden – gegenüber 59 % bei anderen Individuen.


Und wenn es doch linksautoritäre Parteien gibt?

Zusätzliche Anzeichen dafür, dass sich die linksautoritäre Angebotslücke auf die betroffenen Bürger auswirkt, finden sich in einer weiteren Länderanalyse auf Basis der finnischen nationalen Wahlstudie. Eine Analyse Finnlands bietet sich an, da die Partei Die Finnen (vormals Wahre Finnen) als eine der wenigen Parteien Westeuropas eine deutlich linksautoritäre Position vertritt (siehe PS in Abbildung 1). An diesem Fall lässt sich überprüfen, ob der negative Effekt einer linksautoritären Einstellungskombination auf die Wahlbeteiligung und die Politikzufriedenheit verschwindet, wenn eine Partei mit einer linksautoritären Position konkurrenzfähig wird. Um dies zu testen, nutzen wir den Durchbruch der Partei bei der finnischen Parlamentswahl 2011, bei der sie ihren Stimmanteil im Vergleich zu 2007 verfünffachen konnte (von 4,1 % auf 19,1 %).
Der Vergleich der beiden Wahlen bestätigt weitgehend unsere Erwartungen: Abbildung 3 zeigt einen negativen Effekt der linksautoritären Einstellungskombination bei der Wahl 2007. Im Jahr 2011 ist der Effekt nicht mehr klar von null zu unterscheiden. Anstatt sich zu enthalten, stimmen Linksautoritäre nun mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für die Wahren Finnen. Noch deutlicher sind die Ergebnisse, wenn man betrachtet, inwieweit Individuen glauben, dass Wählen einen Unterschied macht (politische Wirksamkeitsüberzeugung). Während Linksautoritäre im Jahr 2007 eher als andere Befragte angaben, Wählen habe keinen Effekt, verschwindet dieser Unterschied im Jahr 2011. Das geringere Demokratievertrauen Linksautoritärer verschwindet hingegen nicht zwischen 2007 und 2011. Die Demokratiezufriedenheit verändert sich demzufolge nicht unmittelbar, nachdem die Angebotslücke geschlossen wurde, sondern möglicherweise erst, wenn sich die entsprechende Partei im Parteiensystem etabliert oder sogar in die Regierung gelangt und die materielle Politik beeinflusst.

Effekte einer linksautoritären Position auf die Wahrscheinlichkeit ...


Fazit

Am Beispiel linksautoritär eingestellter Bürger lässt sich zeigen, dass Angebotslücken in mehrdimensionalen Politikräumen die Wahlbeteiligung und Demokratieunterstützung der betroffenen Bürger beeinträchtigen können. Da zumindest die geringere Wahlneigung der Linksautoritären aber kein eisernes Gesetz ist, haben gerade weniger etablierte Parteien die Chance, sie als Wähler zu gewinnen. Kombiniert eine Partei ein linksautoritäres Politikangebot mit systemkritischem Auftreten, kann sie womöglich zusätzlich von der bei Linksautoritären überdurchschnittlich starken Unzufriedenheit mit dem politischen System profitieren. Das mag ein Grund sein, warum einige radikal rechte Parteien in jüngerer Zeit zunehmend ökonomisch linkere Positionen vertreten. Die in vielen Ländern noch bestehende linksautoritäre Angebotslücke könnte zukünftig geschlossen werden. Insgesamt ist die zu beobachtende Ausdifferenzierung und Transformation von Parteiensystemen mithin auch als Reaktion auf einen mehrdimensionaler werdenden politischen Konfliktraum zu verstehen.

 

 

Sven Hillen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Bereich Vergleichende Politikwissenschaft. Seine Forschungsinteressen liegen in der Parteienforschung, Politischen Ökonomie und Wohlfahrtsstaatsforschung, Vergleichenden Wahlforschung und Methoden der empirischen Sozialforschung.

Nils Steiner ist Postdoc und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Bereich Vergleichende Politikwissenschaft. In seiner Forschung fokussiert er sich auf die Wahl- und Einstellungsforschung, Parteienforschung und die Politische Ökonomie.