Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Tierschutzpolitik im internationalen Vergleich – mehr Markt, mehr Staat, mehr Politikwissenschaft?

Im Zuge der aktuellen klimapolitischen Debatten rückt der Konsum tierischer Produkte in den Fokus der Aufmerksamkeit. Zwar geht der Fleischkonsum in Deutschland tendenziell zurück, jedoch zählen wir nach wie vor zu den europa- als auch weltweit größten Fleischproduzenten. Die im internationalen Wettbewerb stehende und exportorientierte Branche ist hoch spezialisiert und regional stark konzentriert. Neben negativen Umweltwirkungen, wie die zuletzt durch den Europäischen Gerichtshof angemahnte erhöhte Nitratbelastung von Wasserressourcen, rücken tierschutzpolitische Aspekte in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Mehrheit der Europäer gibt in repräsentativen Umfragen an, dass der Schutz der Nutztiere, sogar vor dem Umweltschutz, eine der wichtigsten Aufgaben von Landwirten sein sollte (Eurobarometer Daten 2016). Ein weiteres Indiz ist die kürzlich abgeschlossene Europäische Bürgerinitiative (ECI) End the Cage Age, die sich für ein Verbot von Käfighaltung in der Nutztierhaltung einsetzt (mit über 1,5 Millionen Unterschriften zählt sie zu den drei erfolgreichsten ECIs überhaupt; ab 1 Million Unterschriften muss die EU Kommission über die Forderungen beraten).

 

Gleichzeitig werden vom Budget der europäischen Agrarpolitik (GAP) nur 1,4 % in Tierschutzmaßnahmen investiert. Auf regulativer Ebene hat die EU diverse Tierschutzpolitiken eingeführt, diese gelten aber weder für alle Nutztierarten (gegenwärtig gibt es nur für Schweine, Kälber und Hühner spezifische gesetzliche Regelungen – für Milchkühe, Rinder und Puten allerdings nicht), noch gewährleisten sie mehr als ein Minimum an sogenanntem Tierwohl. Zwar ist die Messung von Tierwohl wissenschaftlich umstritten, jedoch bieten die Fünf Freiheiten, auf die sich die EU explizit bezieht, einen Ausgangspunkt für die politische Ausgestaltung (Freiheit von Hunger und Durst, Freiheit von haltungsbedingten Beschwerden, Freiheit von Schmerz, Verletzungen und Krankheiten, Freiheit von Angst und Stress, Freiheit zum Ausleben normaler Verhaltensmuster). Der aktuelle Rechtsrahmen garantiert diese Freiheiten nur begrenzt; dies bestätigt der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik der Bundesregierung.

Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass die Rolle von Tierschutz in der Landwirtschaftspolitik primär in den Wirtschafts- und Agrarwissenschaften diskutiert wird, die Politikwissenschaft hat bislang nur vereinzelte Beiträge geliefert. Das ist umso überraschender, als das die Landwirtschaftspolitik eines der am stärksten staatlich durchdrungenen Politikfelder ist. Während erste Tierschutzgesetze in Deutschland bereits in den 1970er-Jahren verabschiedet wurden, erfolgte erst 2002 die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel im Grundgesetz. Im internationalen Vergleich verfügt Deutschland über eines der umfassendsten Tierschutzgesetze, detailliertere Policies finden sich nur in wenigen anderen Ländern wie der Schweiz oder Großbritannien. Die Gründe sowohl für die Verabschiedung von Tierschutz-Policies als auch für ihre unterschiedliche Ausgestaltung sind bis jetzt kaum erforscht. Die Nutzung etablierter politikwissenschaftlicher Theorien kann hier einen Beitrag leisten.

Auf der Ebene der Bundesländer als auch im europäischen Vergleich konnte ich zeigen, dass Parteien in diesem Politikfeld die Impulsgeber sind. Als Teil der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Bundesländer in der Tierschutzpolitik einen hohen Gestaltungsspielraum. Die vergleichende Analyse belegt, dass die parteipolitische Zusammensetzung der Landesregierungen Einfluss darauf hat, ob eine Verschärfung von Tierschutzgesetzen angestrebt wird – dies konnte anhand mehrere Bundesratsinitiativen gezeigt werden – oder ob besonders tiergerechte Haltungssysteme finanziell gefördert werden – etwa über die Umwidmung von ELER Mitteln (Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums). Die Ergebnisse unterstreichen: Der Tierschutz wird forciert, wenn Bündnis 90/Die Grünen an der Regierung beteiligt sind und die für den Tierschutz zuständigen Ministerien besetzen. Dieser positive Effekt lässt sich auch in anderen europäischen Mitgliedsstaaten nachweisen. Zwar verdeutlicht die Analyse, dass Tierschutz über alle Parteien hinweg an Bedeutung gewinnt, jedoch bestehen erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung. Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE und teilweise die SPD plädieren für regulative Maßnahmen, während CDU/CSU und FDP tendenziell für freiwillige und kooperative Maßnahmen werben. Diese Divergenzen in Bezug auf die präferierten Steuerungsoptionen manifestieren sich aktuell in den Debatten um das von CDU/CSU initiierte staatliche (freiwillige) Tierwohllabel.

In Bezug auf die zur Verfügung stehenden Policy-Instrumente offenbart der internationale Vergleich, dass eine Kombination von regulativen und freiwilligen Instrumenten vielversprechend sein kann. So hat beispielsweise die Schweiz zwar eines der strengsten und umfassendsten Tierschutzgesetze der Welt – viele in Deutschland erlaubte Praktiken sind in der Schweiz seit Langem verboten. Parallel werden die Schweizer Bauern durch verschiedene Prämiensysteme, wie etwa für Weidehaltung oder bestimmte Stallsysteme, ermutigt, zusätzliche Tierwohlmaßnahmen umzusetzen. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Schweizer Tierhalter vornehmlich für den heimischen Markt produzieren und vor internationalem Wettbewerb weitestgehend geschützt sind.

 

Womit wir bei einem weiteren entscheidenden Einflussfaktor sind: Erstens sind die Möglichkeiten Deutschlands durch EU-Recht eingeschränkt. Gleichzeitig stehen die deutschen Landwirte in unmittelbarer Konkurrenz zu ihren europäischen Nachbarn und exportieren einen großen Teil der Produktion. Ein häufig vorgebrachtes Argument ist, dass eine Verschärfung der Regulierung zu einer Abwanderung der Produktion ins Ausland führen würde. Eine besondere Herausforderung in diesem Kontext ist die geringe Produktdifferenzierung, die es den Tierhaltern erschwert, eine finanzielle Kompensation für Tierwohl durch den Markt zu erhalten.

In diese Lücke dringt das geplante staatliche Tierwohllabel, wodurch wir unmittelbar das nächste Forschungsfeld tangieren: der Frage nach der Kombination von staatlicher und privater Steuerung. Während die Agrarpolitik historisch stark von staatlichen Eingriffen dominiert ist, zeigt sich im Tierwohlbereich seit Jahren ein zunehmendes Engagement privater Akteure. In Deutschland haben ab vergangenem Jahr fast alle großen Einzelhändler mehrstufige Tierwohllabels auf unverarbeiteten Fleischprodukten eingeführt. Interessant ist das Zusammenspiel mit dem in Planung befindlichen staatlichen Tierwohllabel: Die privaten Initiativen scheinen Handlungsdruck auf die Politik auszuüben. Vergleichbare Initiativen finden sich inzwischen in vielen europäischen Staaten und sogar in Ländern, die praktisch keine eigenständige nationale Tierschutzpolitik verfolgen, wie zum Beispiel Frankreich. Diese potenzielle Verlagerung von Tierschutz in den privaten Bereich kann vor dem Hintergrund der Verankerung im Grundgesetz als Staatsziel kritisch hinterfragt werden. Weiterhin sollten die Implikationen der Verlagerung der Verantwortung auf den Konsumenten, die zwingend zu einer Dualisierung der Produktion führen wird, im Fokus zukünftiger Forschung stehen – auch im Zusammenhang mit sozialpolitischen Fragestellungen. Ist Tierschutz ein privates (Luxus-)Gut oder eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, wie im Grundgesetz formuliert?

Steigende gesellschaftliche Aufmerksamkeit kann andererseits als wichtiger Treiber identifiziert werden. Inwieweit sich gesellschaftliche Präferenzen in der Politikgestaltung abbilden, hängt unter anderem von den zugrunde liegenden institutionellen Rahmenbedingungen ab. Während sich diese in Deutschland primär über die Parteien artikulieren, wurde die Tierschutzpolitik in der Schweiz entscheidend durch direktdemokratische Verfahren geprägt. Ähnliches lässt sich für die Vereinigten Staaten von Amerika beobachten: Während es auf bundesstaatlicher Ebene faktisch keine gesetzlichen Regelungen gibt (Nutztiere werden explizit aus dem Tierschutzgesetz ausgeschlossen, bestehende Schlacht- und Transportverordnungen exkludieren alle Geflügelspezies), haben 12 Bundesstaaten spezifische Gesetze zum Schutz von Nutztieren verabschiedet. In der Mehrheit der Fälle geschah dies in Folge von Petitionen, wie ich in einer vergleichenden Analyse zeigen konnte.

 

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Tierschutz in der Nutztierhaltung ein Thema ist, dass gesellschaftlich und politisch an Relevanz gewinnt. Handlungsdruck auf politische Entscheidungsträger wird sowohl von gesellschaftlichen als auch von marktlichen Akteuren erzeugt. Abhängig von den institutionellen Gelegenheitsstrukturen wird Politikwandel entweder von spezifischen politischen Parteien forciert oder durch Bürgerinitiativen quasi erzwungen. Während in Deutschland ein grundsätzlicher Konsens besteht, dass Veränderungen in der Nutztierhaltung erforderlich sind, ist Uneinigkeit in Bezug auf die adäquaten politischen Steuerungsoptionen evident. In unmittelbarem Zusammenhang hiermit steht die Frage nach der Verantwortung für Tierschutz – mehr Markt oder mehr Staat? Die Politikwissenschaft kann diese Debatten durch ihre in anderen Politikfeldern hinlänglich erprobten theoretischen und methodischen Perspektiven substanziell bereichern und Impulse für interdisziplinäre Forschungskooperationen anbieten.

 

 

Dieser Beitrag basiert unter anderem auf folgenden eigenen Beiträgen:

  • Why do Farm Animal Welfare Regulations vary between EU Member States? A Comparative Analysis of Societal and Party Political Determinants in France, Germany, Italy, Spain and the UK, 2019, in: Journal of Common Market Studies, 57, (2), S. 317-335, doi: 10.1111/jcms.12794.
  • Layering Action Situations to Integrate Spatial Scales, Resource Linkages, and Change over Time: The Case of Groundwater Management in Agricultural Hubs in Germany, in: Policy Studies Journal, im Erscheinen, mit Malte Möck, Nils C. Bandelow und Boris Schröder-Esselbach

 

 

 

Dr. Colette Vogeler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre und Politikfeldanalyse der Technischen Universität Braunschweig. Ihre Forschungsschwerpunkte verorten sich in der Politikfeldanalyse und der politischen Ökonomie. Aktuelle thematische Schwerpunkte sind Wirtschafts- und Agrarpolitik mit einem Fokus auf Tierschutzpolitik insbesondere im Feld der Nutztierhaltung.