Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft

Warum sind Europawahlen (immer noch) so unsichtbar?

Autorin: Daniela Braun

Weil die Bürger*innen nicht teilnehmen…

Die politikwissenschaftliche Forschung hat eindeutig gezeigt, dass es sich bei Europawahlen um so genannte nationale Nebenwahlen handelt, bei denen – gefühlt – weniger auf dem Spiel steht als bei nationalen Hauptwahlen. Ein Teil des Problems liegt in einer mangelnden Mobilisierung der Bürger*innen. Ebenso spielt ihre Haltung gegenüber der EU sowie ihr (fehlendes) politisches Wissen eine Rolle. Unsere Analysen zeigen: Je ausgeprägter das Wissen einer Person über (Europa-) politische Sachverhalte, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Wahlteilnahme. Da die europäischen Bürger*innen über europäische Institutionen und Akteure nicht sehr gut Bescheid wissen (vgl. Grafik 1), ist dieser Befund umso bedeutsamer.

Grafik 1: Politisches Wissen über nationale und europäische Sachverhalte

…und die Parteien keinen europaweiten Wahlkampf führen.

Für die Mobilisierung der Wähler*innen sind neben den Medien vor allem politische Parteien verantwortlich – auch bei Europawahlen. Im Rahmen der Europawahlen im Jahr 2014 kam in diesem Zusammenhang ein neues Instrument zum Einsatz: Das so genannte Spitzenkandidatensystem, das zurückgehend auf den Vertrag von Lissabon (2009) für mehr Sichtbarkeit der Europawahlen sorgen sollte. In unsere Studie zeigte sich jedoch, die meisten Parteien eher einen Wahlkampf an den Spitzenkandidat*innen vorbeiführten.

Im Wahlkampf (online, wie offline) gingen sie nur in sehr geringem Ausmaß auf ihre (oder andere) Spitzenkandidat*innen ein und das auch nur, wenn sie sich davon einen strategischen Vorteil erhofften. So nahmen beispielsweise nur Parteien Bezug auf ihre Spitzenkandidat*innen, wenn diese aus den eigenen nationalen Reihen kamen – wie der Fall der deutschen SPD anschaulich zeigt (vgl. Grafik 2). Stammten die Spitzenkandidat*innen dagegen aus einem anderen Land, wurde auf eine Wahlkampagne mit dieser Person weitestgehend verzichtet.

Grafik 2: Nennung der Spitzenkandidat*innen (in Prozent) auf den offiziellen Facebook-Seiten der 73 Parteien in 13 ausgewählten Ländern (exemplarische Darstellung für 21 Parteien)

Sind für die Europawahlen 2019 wesentliche Veränderungen zu erwarten?

Die Europawahlen 2014 wurden bereits als „critical elections“ gehandelt. Alles in allem konnten politikwissenschaftliche Untersuchungen jedoch keine tiefgreifenden Veränderungen im Vergleich zu vorherigen Europawahlen feststellen. Die lag nicht zuletzt an der bereits ausgeführten nationalen Logik des Parteienwettbewerbs. Nun werden zwischen dem 23. und 26. Mai 2019 die neunten Direktwahlen zum Europäischen Parlament stattfinden. Dieser Durchgang wird aller Voraussicht nach ebenfalls keinen Wendepunkt in der Geschichte der Europawahlen darstellen, wenn auch in Politik und Medien häufig von „schicksalshaften Wahlen“ die Rede ist.

Doch auch wenn nicht mit einer grundlegenden Veränderung zu rechnen ist, könnten die Europawahlen 2019 aus verschiedenen Gründen den Beginn einer längerfristigen Veränderung darstellen: Zum einen ist abermals mit einem Stimmenzuwachs für euroskeptische Parteien – des linken, wie des rechten Randes – zu rechnen. Weiterhin werden mit Volt und DiEM25 in diesen Wahlen erstmals transnationale Gruppierungen antreten, die eine eindeutig pro-europäische Position einnehmen. Das Aufeinandertreffen vordergründig euroskeptischer und pro-europäischer Parteien lässt zumindest das Potenzial für eine Debatte um genuin europäische Themen im diesjährigen Europawahlkampf erahnen.

Es muss jedoch hinzugefügt werden, dass die diesjährigen Spitzenkandidat*innen bislang ebenso wenig sichtbar sind wie im Jahr 2014. Ihre Ernennung bzw. Wahl hat zumindest in den deutschen Medien nur für wenig Aufmerksamkeit gesorgt – mit einer Ausnahme: Die Wahl Manfred Webers, des europaweiten Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP), sorgte zumindest für eine gewisse Sichtbarkeit, was aber vermutlich abermals mehr an seiner Nationalität liegt, als an der Tatsache, dass er als europaweiter Spitzenkandidat der EVP antritt.

Weitere Infos zum Thema finden sie in der WEP, dem JEPP, sowie bei Springer Wissen.